• April 2020

Velo daheim

Es gibt für einen Fahrradbegeisterten kaum etwas Schöneres, als im Frühling endlich wieder sein Velo auszufahren. Für mich jedoch ist der Frühling von bitterer Süsse, denn die Luft ist verpestet von Pollen – und in Kombination mit nur ein bisschen zu kalter Luft lässt eine zu früh gewagte Ausfahrt einen Heuschnupfenasthmatiker wie mich böse büssen. Deshalb habe ich mir eine «Rolle» angeschafft, genauer: einen «Smarttrainer». Damit kann man gemütlich zu Hause auf seinem eigenen Rennrad kurbeln, ohne in die zwar zweifellos schöne, in ihrer Natur aber böse Natur hinauszumüssen. Ein solcher Smarttrainer (etwa das Modell «Tacx Neo») ist auch ein probates Mittel, um einigermassen fit durch den Winter zu kommen, vor allem in Kombination mit einer guten Trainingssoftware (in meinem Falle die App «TrainerRoad»).

Anfangs empfand ich diese Art von simuliertem Sport als schiere Stupidität, denn beim Rennvelofahren geht es ja gerade um die Kombination von Körper- und Naturerfahrung: schnell durch die Welt zu sirren, den Fahrtwind im Gesicht zu spüren, den Blick samt Gedanken in der Landschaft zu verlieren. Doch bald durfte ich feststellen, dass es durchaus auch Vorzüge gab, in den eigenen vier Wänden zu kurbeln. Ich entdeckte gar so etwas wie Gefallen am Stupiden, denn es birgt Vorzüge: Man muss nie überlegen, wo es langgeht; es lauern keine Gefahren wie SUV-Fahrer, die während der Fahrt auf dem Handy herumtippen; es gibt noch nicht einmal wurstgeile Hunde, die einem mit gebleckten Zähnen hinterherhecheln (bloss eine friedlich schlafende Katze auf der Kommode). Ausserdem ist der Weg zur Dusche superkurz. Man hat bei einem Hometrainer zwar keine Landschaft, dafür aber kann man fernsehen. Und zwar den grössten Blödsinn, ohne auch nur einen Anflug von schlechtem Gewissen zu verspüren. Zurzeit schaue ich während des Velofahrens mit Begeisterung die Netflix-Dokuserie «Drive to Survive» über die vergangene Formel-1-Saison. Selten hat man starke Männer so schwach gesehen – und schwache Männer so böse. Intrigen und Tragödien. Liebe und Tod. Macht und Ohnmacht. «Drive to Survive» ist ein gnadenloses Spektakel von shakespearescher Dimension, das umso mehr Spass macht, je mehr man schwitzt wie eine gequälte Sau, daheim im Sattel, an Ort und Stelle, in die Pedale tretend und dann und wann einen leisen Fluch ausstossend, weshalb auch immer.