• September 2023

WELTFORMAT

Eine Stadt ist wie eine Mutter, und die Einwohner und Einwohnerinnen sind wie ihre Kinder – und man weiss es ja: Dann und wann übertreibt es die eine oder andere Mutter in ihrer fürsorglichen Art. Man spricht dabei auch von Übermutterung. Meine Mutter ist in dem Fall Zürich, auch wenn ich kein leibliches Kind bin und mich schon mit Bartwuchs an ihre Rockschösse hängte. Was kann ich über diese Mutter sagen? Sie ist etwas kühl. Sie ist reich. Und sie hat dann und wann echt doofe Ideen.

Jedenfalls stand ich kürzlich vor einer Plakatwand und betrachtete recht lange ein Werk, welches derzeit im Auftrag der Stadt Zürich weitherum gehängt wird, selbstverständlich im Weltformat, denn Weltformat ist die Kragenweite hier. Das Plakat gehört zu einer Erziehungskampagne namens «Mehr Zürich – weniger CO2» und soll die Menschen zu einem klimabewussteren und also besseren Leben hinführen. Auf dem Plakat ist ein Laib Brot zu sehen und der wohl flott gemeinte Spruch: «Dein Brot macht auf hart? Mach es klein! Gib Brot als Croûtons eine zweite Chance.» Eine Stadt, die ihre Bewohner und Bewohnerinnen in einer gross angelegten Werbekampagne auf Weltformatplakaten darauf hinweist, dass man altes Brot nicht wegwerfen, sondern ihm in Form von Croûtons ein zweites Leben einhauchen soll, die muss ihre Bewohnerinnen und Bewohner für komplett bescheuert halten. Wie eine Mutter, die ihrem Sprössling nicht einmal den einfachsten der einfachen Gedanken zutraut. Croûtons?!

Bei einem Abendessen sass ich unlängst neben einer Person, die an einer Hochschule eine Professur innehat, also über eine gewisse Intelligenz verfügt. Ich war damit beschäftigt, all das Brot auf dem Tisch aufzuessen, damit es später kein hartes Leben fristen musste, eventuell gar im Müll landete. Aber ich schaffte es trotzdem kauend, mich mit der Person zu unterhalten, welche aus einem nicht angrenzenden EU-Land stammt, also einen leicht anderen Blickwinkel auf unsere Wirklichkeit hat. Irgendwann kamen wir auf die Stadt zu sprechen, ihre Vor- und Nachteile, und die Person meinte trocken, das Hauptproblem Zürichs sei einfach zu benennen: «Too much money.» Deshalb komme man hier in so manchem Bereich auf wirklich stupide Ideen.

Was Zürich bei der Kampagne des harten Brotes allerdings nicht bedacht hat, sind zwei Dinge. Erstens: Croûtons sind mitnichten einfach Würfel harten Brotes, sondern werden in reichlich Butter knusprig ausgebacken (was natürlich wiederum Energie benötigt). Zweitens: Einen Laib hartes Brot in Croûtons zu schneiden ist eine Arbeit, von der wegen ihres Gefahrenpotenzials grundsätzlich abzuraten ist. Denn das klassischerweise mit Wellenschliff versehene Brotmesser mag viel lieber als hartes Brot die zarten Wurstfinger der Hand, die das Brot zu halten versucht, während die andere sägt und säbelt (und der Mensch wegen der Widerspenstigkeit des harten Brotes mehr und mehr Kraft einsetzt, bis eben unweigerlich geschieht, was geschehen muss). Der Schnitt von Brotmessern ins eigene Fleisch geht tief und ist des besonderen Schliffes des Schneidewerkzeugs wegen gerne komplex und wüst, vor allem wenn Gelenke und/oder Sehnen betroffen sind. Auch die Wundheilung ist nicht ohne. Dies führt zu steigenden Gesundheitskosten und Arbeitsausfällen.

Ich denke, man sollte eine Aufklärungskampagne starten zur Gefahr, die von der Transformation von hartem Brot zu Croûtons ausgeht. Vorsicht beim Altbrotschneiden! Achtet auf eure Finger! Tragt Schutzkleidung! Sag es deinen Kindern, Mutter! Häng die Plakate! Weltformat!