UN MONUMENTO AL BOCADILLO DE CALAMARES
Damit der Mensch sich erinnert, baut er Denkmäler, hohe Monumente, gewaltige Brunnen. Die sind meist männlichen Wichtigtuern des Zeitgeschehens gewidmet. Andere Dinge haben keine Denkmäler – und trotzdem erinnert man sich an sie. Ich erinnere mich etwa dann und wann an eine Bar in Madrid, sie heisst Bocaito. Dort ass ich die besten Croquetas meines Lebens. Das war, bevor ich zu Hause Croquetas nachkochte und mit Schrecken herausfand, aus was Croquetas bestehen.
Im Bocaito liebte ich nicht das Frittierte, sondern auch die Fotos von Berühmtheiten, welche das Lokal schon besucht hatten. Pedro Almodóvar etwa, der mit Penélope Cruz dort gewesen war. Der hatte einst gesagt: Was der Prado für Goya, das sei das Bocaito für Tapas. Ein anderes Foto zeigte Hugh Grant und Sandra Bullock, wobei Hugh Grant aussah, als wäre er granatenvoll – was er wohl auch gewesen war.
So stand das Bocaito zuoberst auf der Liste der Sehenswürdigkeiten, doch als ich an der Calle de la Libertad 6 ankam, waren die Rollläden unten. Das Bocaito hatte geschlossen, und zwar für immer. Dies stimmte mich traurig, aber das Gute an Madrid: Man muss sich bloss einmal umdrehen, und schon findet man Trost, in diesem Fall etwa in der kleinen Kneipe Celso y Manolo und bei einem Dutzend Croquetas mit kantabrischem Bacalao.
Danach war Bewegung angesagt, es ging in den Parco del Retiro; ein Park, der sich grösser anfühlt als jede hiesige Stadt. Man kann spazieren, bis einem die Füsse abfallen. Als dies geschah, stand ich vor einer dieser vielen mehr oder weniger gut geratenen Bronzestatuen von einem dieser Männer, deren Namen einem nichts sagen. In dem Fall Jacinto Benavente. Ich wette ein Sixpack glutenfreies Estrella Galicia, dass keine Leserin und kein Leser je von ihm gehört hat. Aber das ist ja mit das Gute an den modernen Zeiten: Das Wissen ist immer und überall. Mein smartes Smartphone sagte mir: Benavente war ein spanischer Dramatiker und Journalist, er starb 1954. Ich bin ziemlich sicher, dass das wohl die letzte Statue auf der ganzen Welt gewesen sein wird, die für einen Journalisten errichtet wurde. Und weiter las ich, dass Benavente nie heiratete und nach Ende des Bürgerkriegs dem Fanclub von Franco beitrat. Trotzdem hat er sein Monument bekommen und behalten – oder gerade deswegen?
Ich liess die mir spanisch vorkommenden monumentalen Probleme hinter mir, bestaunte noch den ältesten Baum Madrids (eine Montezuma-Zypresse, gepflanzt 1633), ging westwärts hinein in die Stadt, vorbei am Prado, der Velázquez- und der Goya-Statue. Mein nächstes Ziel lag an der Calle de Botoneras, der Knopfhändler-Gasse. Dort findet man die Bar La Ideal, wo es das stadtbeste Bocadillo de Calamares geben soll. Auf der Website der Bar sieht man ein weiteres Monument: den berühmten Brunnen auf dem Plaza de Cibeles, wo Real Madrid jeweils seine Erfolge öffentlich zu feiern pflegt. Der riesige Brunnen ist der Fruchtbarkeitsgöttin Kybele gewidmet (es kommt also denkmaltechnisch doch dann und wann eine Frau zum Zuge). Sie sitzt auf einem von Löwen gezogenen Wagen. Doch in der Version der Bar La Ideal sind die Räder des Wagens durch Calamaresringe ersetzt. Und ich wusste: Wenn das Sandwich mit den frittierten Tintenfischringen verspiesen war, würde ich mich fühlen, als hätte ich Kybeles Monument verschlungen. Erst recht, wenn ich noch eine Portion Morcilla und Chorizo frito nachschob. Und danach stand noch mehr Kultur auf dem Programm, ein Museum, in dem ein paar gewaltige Schinken hingen – das Museo del Jamón.