• November 2016

Über Socken

(Aus dem Magazin. Ziemlich lange her. Aber kam mir wieder in den Sinn, als ich im American Apparel in Zürich meine Lieblingssocken kaufen wollte. Es gab sie nicht mehr. Ein Artikel über Socken und über den Umstand, was Elvis mit dem alten Ägypten zu tun hat.)

Das Neuste zuerst: Petrol ist die Farbe des Herbstes. Rot ist es aber auch. Und dunkles Violett. Sowie Gelb, vor allem ein sattes Senfgelb, gerne auch im All-Over-Look, also komplett von unten bis oben. Zu guter letzt auch noch dabei sind zwei alte nicht ganz Unbekannte: Schwarz und Weiss. Die Zeitschrift Glamour schreibt: „Beim Styling sind diese beiden Trendfarben unkompliziert und zu allen Schandtaten in Sachen Kombinieren bereit.“ Gut zu wissen!

Gehen wir als Zebra.
Gehen wir als Senfbrot.
Gehen wir als Blutkonserve.
Es ist das Schicksal der Mode, dass sie sich immer wieder neu erfinden muss, um der Hinfälligkeit zu entgehen. Darum werden für diesen Hebst und Winter nebst den Farben auch noch ausgerufen: Polka Dots! Native American! Transparenz!
Gehen wir als Dalmatiner.
Gehen wir als Pocahontas.
Gehen wir als vollverschleierte Nacktwanderer.

Das ist die offizielle Version, der man sich anschliessen kann, wenn man mag und etwas Orientierung braucht. Die persönliche Version aber kann ganz anders aussehen. Vor allem auch, wenn es um periphere Kleidungsstücke geht, Accessoires, welche die Extremitäten betreffen, ganz im Speziellen die unteren, Füsse genannt, die wir mit Socken kleiden.

Socken sind die grossen Vernachlässigten der Modewelt. Kaum jemand schenkt ihnen grosse Bedeutung. Selbst im vom Magzin Esquire herausgegebenen Moderatgeber „Mann von Welt“ steht: „Es ist schwer, sich für Socken zu begeistern.“ Aber das ist so falsch. Denn die Socke ist, das möchte ich behaupten, das Beste, das ein Kleiderschrank bergen kann. Nebst ihrer hohen Funktionalität ist die Socke ein hochgradig subversives Kleidungsstück, denn sie ist im Untergrund aktiv, im Versteckten - zumindest für Hosenträger. Und nur hie und da kommt sie zum Vorschein, blitzt auf. Die Socke ist ein kleiner subtiler Kommentar zum Rest, den man am Körper trägt. Eine Hose, ein Hemd, ein Pullover, sie sprechen eine klare und direkte Sprache: Ich bin Business. Ich bin Casual. Ich bin Trottel.

Eine Socke aber flüstert unter dem Hosenbein hervor. Ein Beispiel: Ich mag die Farbe Fuchsia. Aber ich würde niemals von unten bis oben in Fuchsia herumspazieren, denn: So sehr mag ich Fuchsia nun auch wieder nicht. Es ist mir einfach nicht wichtig genug, fuchsia zu sein. Eine Socke aber, die Fuchsia kombiniert mit Grün und vielleicht noch einem leichten Grau – ganz so wie es das Modell Memphis von American Apparel tut in Streifen und Flächen, das finde ich ziemlich gut. Und noch besser ist es, wenn man bei Freunden zuhause ist, bei denen man die Schuhe abziehen muss. Früher mochte ich das nie, wenn man seine Schuhe an der Türe lassen musste. Heute freue ich mich darauf. Ich sehne mich danach. Dann setze ich mich dann auf das Sofa, strecke meine Beine, die Leute sehen meine Socken an, die fuchsiafarben und grün geringelt leuchten, und die Leute denken: „Oje, der Arme, er ist übergeschnappt, jemand hat ihm ein Pipi Langstrump-Buch gespritzt.“ Das ist die Schock-Kraft der Socke. Bis ich dort gelandet bin, in der Sockiatrie, war es ein langer Weg, denn es sind Zyklen, die man durchläuft, Stadien der Entwicklung, und am Anfang da war nichts.
Am Anfang ist der Mensch ein Kind und als solches waren einem Socken natürlich nichts als lästig. Ich war am liebsten barfuss unterwegs, als Indianer und noch lieber als Cowboy nacktfüssig in Gummistiefeln. Dann aber fing man an, Socken zu tragen, weil das zu einem zivilisierten Leben gehörte – und die Socke wurde bald zum Sinnbild des heranreifenden jungen Mannes: Sie waren immerfeuchte, säuerlich riechende Dinger, in denen Teenagerfüsse steckten, die nicht wussten, wo es im Leben hingehen sollte. Ich mag mich noch gut erinnern, wie ich damals mit dem Mädchen aus dem Neubauquartier im Dachzimmer die Vorhänge zuzog und alles lief bestens, bis ich die Schuhe von den Füssen streifte und das Mädchen in Ohnmacht fiel, nicht aber meiner umwerfenden Männlichkeit wegen. Vielleicht hätte ich heute ein anderes Leben, wenn ich gewisse Wahrheiten über die Socke früher erfahren hätte. Vielleicht aber ist es auch ganz richtig, dass man nicht alles aufs Mal begreift. Und so sollte es noch eine Weile dauern, bis ich anerkannte, dass die Socke zu behandeln ist wie eine Unterhose: Man wechselt sie täglich, und nicht alle zwei drei Wochen.

Im Militär dann die Bekanntschaft mit den selbstgestrickten Wollsocken entfernter Verwandten oder Tanten, die zwar schön warm gaben, deren groben Maschen auf dem ersten gröberen Marsch am Idiotenhügel jedoch die Haut vom Fleisch schabten. Sehe ich seither irgendwo dunkelgrüne Socken, dann muss ich an Ponstan 500 denken.
Dann folgte die pragmatische Phase als Twen in der ersten eigenen Wohnung weit weg von der mütterlichen Obhut und den darin beinhalteten Wäscheservice: Socken, die einfach billig sein mussten, H&M-Multipack, und falls es Tennissocken waren: Auch egal. Und wenn sie Löcher hatten: Auch egal. Und wenn sie verloren gingen: Auch egal. Zudem dienten sie als Putzlumpen und statt in die Wäsche gingen sie nicht selten direkt in den Müll. Als Dreissigjähriger folgte dann eine kurze dezente Phase, die dem Umstand Rechnung trug, dass man im Leben eine gewisse Ernsthaftigkeit erkannte: Kniestrümpfe in gedeckten Farben, sogenannte Businesssocks, denn damit konnte man nicht falsch liegen. Was aber immer richtig ist, das ist selbstverständlich früher oder später langweilig. Und so kam ich zum eleganten und wegen seiner schottischen Herkunft interessanten Argyle-Muster, den mit Streifen durchkreuzten rautenförmigen Blöcken, die das Erkennungszeichen für Socken der Traditions-Marke Burlington sind. Diese Phase hielt eine Weile hin, bis sie in die aktuelle überging, zu den bereits erwähnten von Memphis-Design inspirierten Socken von American Apparel, gestrickt in Downtown Los Angeles. Memphis übrigens war eine anfangs der 80er Jahre initiierte Designrichtung, die einen radikale Antihaltung einnahm und auffiel durch schockierende Formen- und Farbkombinationen. Daher auch der Name Memphis: Einerseits die Geburtsstadt Elvis’, andererseits sagenumwobener Ort des Alten Ägypten, die Verbindung des scheinbar Unvereinbaren, des Trivialen und des Erhabenen. Memphis war ein ironischer Kommentar – und ist es noch immer: Perfekt für die Sockenwelt.

Welche Sockenphase die nächste sein wird und wann sie anbrechen wird, das ist unklar. Klar ist nur, dass es wunderbare Socken sein werden, gute Socken, schöne Socken. Denn das liegt in ihrer Natur: Gut zu sein.