• April 2024

SCHIEBER VOR DEM SCHLAF

Auf der A1 zwischen Oberbipp und Niederbipp sprach Esther Friedli. Ihre Stimme kam aus den Lautsprechern des Autoradios. Es war Sonntagmorgen, die Politikerin war zu Gast in der Talksendung «Persönlich», zusammen mit einem ehemaligen Formel-1-Moderator, es wurde live aus dem Stadthaussaal Illnau-Effretikon übertragen. Die Sendung war zwar nicht gerade ein Wundermittel gegen Müdigkeit oder Sekundenschlaf, bot aber doch den einen oder anderen erhellenden Einblick in zwei fremde Leben.

Auch wenn ich politisch die Grassilage nicht unbedingt in derselben Rundballenfolie habe wie die SVP-Ständerätin, so mag ich sie, weil sie immer so glücklich dreinschaut. Stets strahlt sie auf den Fotos, die man von ihr in Zeitungen und Zeitschriften sieht. Es ist ein Strahlen, welches man sonst nur in den Gesichtern von Menschen auf Esoterikwebseiten oder an Goa-Partys erblickt. Menschen, die randvoll sein müssen mit Zufriedenheit, durch und durch getränkt von Glückseligkeit.

Zwischen Oberbipp und Niederbipp also wurde die Politikerin gefragt, was sie als Letztes tue, nachdem sie zu Bett gegangen sei und bevor sie einschlafe. Schnell fuhr ich den Zeigefinger meiner Rechten aus, hatte den Ein-/Ausschalter des Autoradios im Visier, denn sosehr ich Esther Friedli mag: Wollte ich wirklich wissen, was sie in den fünf Minuten vor dem Einschlafen macht? Was, wenn sie etwas sagte, das ich mein Leben lang nicht mehr würde vergessen können? Das Radio war schon fast aus, da erblickte ich den raubtierhaft gierigen Kühlergrill eines BMWs im Rückspiegel. Und wenn man einen BMW im Rückspiegel sieht, dann behält man gescheiter beide Hände am Lenkrad. Also lief das Radio weiter, und ich wurde Ohrenzeuge, wie Esther Friedli die intime Frage beantwortete, sie sagte: «Auf der App Jassen.» Das sei das Beste, um nach einem strengen Tag runterzufahren. Bevor die Augendeckel runterklappen, spielt die Politikerin auf dem Handy einen Schieber und manchmal, wenn sie noch etwas «fitter» sei, einen Coiffeur.

Das Wort «Coiffeur» weckte Erinnerungen. Ich hatte seit Jahren nicht mehr gejasst. Früher war dies anders gewesen. Wir hatten eine lose, aber leidenschaftliche Coiffeur-Gruppe. Und deshalb weiss ich in etwa noch, wie episch und nervenaufreibend diese Art des Jassens sein kann, denn der Coiffeur heisst nicht von ungefähr so, sondern hat seinen Ursprung im Französischen, bei «quoi faire?». Gleich zehn Trumpfvarianten müssen dabei abgejasst werden. Dies ist in fünf Minuten vor dem Einschlafen nie im Leben zu bewerkstelligen! Doch Esther Friedli hatte in mir die Lust am Jassen geregt.

Zu Hause lud ich mir eine entsprechende App aufs Handy. Und wie Esther Friedli spielte ich vor dem Einschlafen einen Coiffeur. Ich verlor. Die App bot mir eine Revanche an. Selbstverständlich spielte ich diese – und verlor erneut. Nochmals Revanche! So verging die Zeit, ich spielte Undenufe und Obenabe und den Guschti zehnfach, die Nacht wurde zum Morgen, und am nächsten Tag war ich zu nichts zu gebrauchen. Aber ich war angefixt. Immer wieder zog ich mein Handy aus dem Hosensack und klopfte einen digitalen Coiffeur. Jassen kommt so volkstümlich daher, so gemütlich, so urig, dabei ist es eine schlimme Droge, die verboten gehört! Diese Kolumne etwa schreibe ich mit links, im einhändigen Fünffingersystem, denn die rechte Hand und Hirnhälfte sind gerade damit beschäftigt, einen schwindelerregend schnellen Slalom zu spielen. Ich bin ein Jass-Junkie geworden! Dafür vielen lieben Dank, Esther Friedli!