• Januar 2019

LIEBER PASCAL GRIEDER

Sie sind der neue CEO des Telekommunikationsanbieters Salt, der dritte seit 2015, und in einem Interview sagten Sie: «Die Kundenzufriedenheit hat für mich oberste Priorität.» Das ist gut zu wissen! Auch ich bin neu bei Salt, aber natürlich nicht als CEO, sondern bloss als Kunde. Ich war schon Kunde der Vorgängerfirma Orange gewesen, bis damals meine Nerven immer dünner wurden und schliesslich durchschmürzelten: Über einen Monat hatte das Internet nicht funktioniert – ich hing in den Warteschlaufen der Service-Hotline, die nicht wirklich hot war. Dann kündigte ich entnervt. Nun ist die Geschichte bekanntlich etwas, das sich gern wiederholt. Und so sollte es auch tatsächlich sein, wenn auch ganz anders.

Apropos neu: Ich hätte es ja besser gefunden, die Firma wäre damals von «Orange» nicht in «Salt», sondern in «Sneu» umbenannt worden. Denn das Neue ist doch viel besser als das Alte, oder? Aber schon klar, Salt ist natürlich nicht schweizerdeutsch, sondern englisch: Salz der Erde, symbolhaftes Geschenk in vielen Ländern, einst so wertvoll wie Gold, gesalzene Rechnungen und so weiter. Alles braucht schliesslich einen Namen. Das dachte ich auch, als ich in dem ebenfalls neuen, schwer angesagten Restaurant namens «Gül» (es ist türkisch, nicht französisch, wie ich erst dachte, als ich den Namen hörte) im Zürcher Kreis 4 sass und die Menükarte studierte. Ein Gericht dort heisst «Anali Kizli Corbasi». Ich dachte, es handle sich wohl um ein besonders scharfes Gericht, an welches man sich am nächsten Tag noch erinnern würde, so wie man es von gewissen thailändischen Speisen kennt, wenn der Kellner sie augenzwinkernd serviert und geheimnisvoll murmelt: «It burns twice...» Aber weit gefehlt. «Anali Kizli Corbasi» sei – so stand im Menü – eine «Mutter-Tochter-Suppe» mit Sumach, Kichererbsen und anderem. Da ich jedoch weder Mütter noch Töchter esse, bestellte ich dann den unverfänglich klingenden «Fistikli Kebab» – und der schmeckte ausgezeichnet! Aber zurück zu unserer Geschichte: Jahrelang war ich nach der Kündigung zufriedener Kunde eines anderen Anbieters, bis ich auch dort kündigte, grundlos eigentlich. Ich kündigte bloss, weil ich kündigen konnte, denn dann und wann sollte man Dinge tun, wenn man sie tun kann. So kam ich zu Salt Fiber. Alles funktionierte bestens. Doch leider nur ein paar Tage. Dann war das Internet tot. Ich rief die Service-Hotline an. Drei Tage später rief ich erneut an. Tags darauf noch einmal. Und noch einmal. Bald tat ich dies täglich. Denn: Nichts geschah. Immer wieder schilderte ich meinen Fall. Immer wieder stiess ich auf verständnisvolle, aber letztlich doch taube Ohren. Mein Alltag bestand bald im Wesentlichen darin, in der Salt-Warteschlaufe zu hängen – Warteschlaufen sind traurige, einsame Orte, die einen an die unendlichen, öden und kalten Weiten des Kosmos gemahnen. Nun, irgendwann erkannte ich die Stimme eines Hotline-Mitarbeiters wieder. Er klang nach Ostdeutschland und guter Laune und schien die Fähigkeiten eines fähigen Löwenbändigers zu besitzen, nur bändigte er keine Löwen, sondern besänftigte Menschen, die verzweifelt in Telefonhörer brüllten – so wie mich. Wir wurden so etwas wie Freunde, und irgendwann plauderten wir auch abseits der Kernprobleme. Wo er denn sitze, wollte ich etwa wissen. «In Athen», sagte der Mann bestens gelaunt. «Athen!» Ich wollte ihn fragen, ob die Sonne scheine und er vom Büro aus die Akropolis sehe oder das Odeon des Herodes Atticus, doch dann wurde er wieder geschäftig und stellte mir die baldige Lösung all meiner Probleme in Aussicht – so muss es geklungen haben, als Aphrodite dem Paris die Liebe der schönsten Frau der Welt versprach. Ich glaubte ihm. Bis ich wieder zum Hörer greifen musste.

Nach ziemlich genau einem Monat ohne Internet klingelte dann nicht die schönste Frau der Welt an meiner Tür, sondern ein Mann mit Werkzeugtasche. Eine halbe Stunde später hatte der Techniker die Ursache gefunden: Wie eine erlegte Giftschlange hielt er das dünne, schlaffe, grüne Glasfaserkabel in der Hand, sagte: «Da haben wirs!» Es war gebrochen. Ein banaler Kabelbruch.

Seither läuft das Internet wieder. Und seither bin ich wieder ein zufriedener Mensch.

Mit drahtigen Grüssen Max Küng

PS Song zum Thema: "On the Wires of Our Nerves» von Add N To (X)" vom gleichnamigen Album, 1998.