• Januar 2019

LIEBER ROBIN S. SHARMA

Zuerst: Einen charmanten Namen haben Sie! Obwohl ein zweiter Vorname als Mittelinitial immer auch verdächtig ist, ein aufdringliches und übertrieben enigmatisches Aufplustern darstellt. Einmal las ich von einem, der verwendete gar noch einen dritten Vornamen. Es war ein Hotelier aus Interlaken namens Stephan J. J. Maeder, der in die Schlagzeilen geriet, als er in seinem Hotel ein Kinderverbot einführte. Kindergeschrei passt nicht zu middle initials.

Meiner bescheidenen Meinung nach wirkt ein zweiter Vorname als Initial altmodisch und aufgesetzt, so wie ein Hut, etwa ein steifer Zylinder oder ein Bowler, und ist äusserst verdächtig, wenn auch auf eine diffuse Art – aber hey, darum geht es hier ja nicht.

Lieber Robin S. Sharma: Ich muss gestehen, ich habe noch keines Ihrer Bücher gelesen. Ihr grösster Erfolg heisst «Der Mönch, der seinen Ferrari verkaufte: Eine Parabel vom Glück». Ehrlich gesagt, fände ich ja ein Buch mit dem Titel «Der Mönch, der einen Ferrari kaufte. Eine Parabel vom Unglück» besser. Warum ein Mönch seinen Ferrari verkaufen möchte, das erschliesst sich mir sofort, aber weshalb hat er überhaupt einen gekauft? Scheint mir weitaus spannender. Sie haben noch andere Bücher geschrieben, deren Titel allesamt nach buddhistisch blubbernder Burn-out-Prosa klingen («Die geheimen Briefe des Mönchs, der seinen Ferrari verkaufte. Eine Fabel vom Suchen und Finden»; oder das noch nicht ins Deutsche übersetzte «The Saint, the Surfer, and the CEO»). Aber auch darum geht es nicht, sondern: Ihr letztes Buch heisst «The 5 AM Club: Own Your Morning. Elevate Your Life» und handelt davon, sein Glück darin zu finden, morgens um fünf Uhr aufzustehen. Fünf Uhr! Das ist früh! Sehr früh sogar! Es gab eine Zeit in meinem Leben, da ging ich zu jener Zeit ins Bett. Aber das ist lange her; und wissen Sie was? Ich bin, ohne von diesem Klub gewusst zu haben, bei diesem Klub mit dabei, denn seit einer Weile schon läutet bei mir der Wecker jeden Morgen um fünf Uhr. Anfangs war es echt hart, mit nilpferdkleinen Augen sass ich am Küchentisch, klappte meinen Laptop auf, stellte den Bildschirm auf geringstmögliche Helligkeit und begann mit der Arbeit. Doch bald gewöhnte ich mich an die frühe Aufstehzeit – sie wurde zu einer lieben Gewohnheit. Das Geniale daran: Man ist dann noch so groggy und erschlagen von der Nacht, dass das Gehirn ganz brav ist, wie ein Lämmchen tut es, was man von ihm verlangt. Es weiss noch nichts von den vielen Versuchungen, die der Tag bereithält: E-Mails zu checken, Instagram, in den tiefen Weiten des Internets nach neuen Laufrädern für neue Rennvelos zu suchen (ich tendiere da übrigens im Moment zu AX-Lightness respektive Moots). All die Ablenkungen sind noch im Bett, so wie die störenden Mitmenschen auch. Dies jedoch ist bloss ein Teil der Schönheit meines neuen Lebens, und erst noch der kleinere. Der grössere Teil kommt gegen 13 Uhr, denn dann steht der Mittagsschlaf an. Ich musste beinahe fünfzig Jahre alt werden, bis ich die Genialität des Mittagsschlafs für mich entdecken durfte. Ein jedes Mal, wenn der Wecker mich nach exakt zwanzig Minuten wieder aus dem Mittagschlaf zurückholt – einem Schlaf, der kein richtiger Schlaf ist, sondern eher ein wohliges Dösen, ein schlummerndes Sichverstecken vor der Welt –, muss ich an eines der schönsten Erlebnisse meines Lebens überhaupt denken: Als ich im Spital im Zuge einer Leistenbruchoperation Propofol verabreicht bekam, dieses Narkotikum, wie flüssiges Glück, welches ja dann Michael Jackson (süchtig danach) zum Verhängnis werden sollte. Der Mittagsschlaf macht auch süchtig. Er ist mein Bio-Propofol, mein naturheilkundliches Narkotikum. Ich lege mich hin und schliesse die Augen, oft ist der letzte Gedanke: «Ich bin gar nicht müde.» Dann wache ich zwanzig Minuten später auf und grinse.

Ich werde Ihr neustes Buch auch nicht lesen, aber der Titel, der stimmt! Und wissen Sie, wie spät es jetzt ist, genau jetzt? 5 Uhr 53. In wenigen Minuten werde ich gänzlich wach sein, der Tag wird beginnen, mit all seinen Ablenkungen und Versuchungen – und ich hab schon so ziemlich alles erledigt, was es heute zu erledigen gibt. Abgesehen vom Mittagsschlaf natürlich!

Von early bird zu early bird, Max Y. Z. Küng

PS Song zum Thema: «Alarm Clock Set» von Beth Kleist vom Sampler «Little Darla Has A Treat For You, Vol. 28», 2013.