NIZZA UND VENEDIG, ABER AUCH KOPENHAGEN
Eigentlich wollten wir nach Venedig reisen, für ein Wochenende, Gründe dafür gibt es ja genug; aber leider gibt es ebenso viele Gründe, die dagegensprechen. Und je länger wir zuwarteten mit dem Buchen der Reise, desto ausgebuchter wurden die Zugverbindungen und Hotels – und in meiner Vorstellung schwollen zudem die sich über die Kanalbrücken schiebenden Touristen zu einem undurchdringbaren Menschenmassengewusel an.
Also liessen wir es bleiben und nahmen stattdessen den Zug in die andere Richtung, an einen Ort, wo wohl weniger Touristen wären – es ging nach Frankfurt. Klar, Frankfurt und Venedig sind zwei verschiedene Paar Schuhe, so wie elegante Sandaletten und Stahlkappenstiefel, aber es gab einen Grund für die Reisedestination: Ich wollte endlich einmal ein Bild des dänischen Malers Vilhelm Hammershøi mit eigenen Augen sehen – und in Frankfurt hängt eines seiner raren Werke, im Städel Museum, in Raum 8 im 1. OG, so hatte ich es mir notiert.
Wir wohnten in einem Hotel an der Elbestrasse, obwohl die Elbe ja Hunderte von Kilometern entfernt von Frankfurt sich ihren Weg vom Riesengebirge in die Nordsee sucht. Doch das haben Strassennamen dann und wann so an sich. Sie verweisen in die Ferne, weshalb auch immer. Das Hotel wiederum heisst Nizza, aber aus naheliegendem Grund, denn unweit davon, am Main, liegt ein Park namens Nizza-Ufer, im 19. Jahrhundert angelegt mit Pflanzen der mediterranen und so an die französische Riviera erinnernden Flora.
Ich war etwas nervös, als ich das Museum betrat, denn ich wusste, dass die Wirklichkeit anders sein kann als die Vorstellung, vor allem, wenn Erwartungen im Spiel sind. Und da hing es, das Bild von Hammershøi. Es zeigt das Interieur der Wohnung des Künstlers in Kopenhagen, gemalt 1901. Ich hob die Hand zum Gruss und sagte leise «Hoi». Lange besah ich das Gemälde. Es war wunderbar anzusehen, unheimlich auch, faszinierend jedenfalls, spektakulär unspektakulär. Ich schaute so lange, bis meine Frau fragte, ob alles in Ordnung sei. Auch das Museumspersonal schien schon ein Auge auf mich geworfen zu haben, als sei ich ein potenzieller Klima-Kunstvandale. Aber alles war in bester Ordnung, ganz und gar, und das Museum brachte mich alsbald noch an andere Orte, etwa an die Küste der Normandie, wo Gustave Courbet eines seiner wunderbaren Wellenbilder gemalt hatte. Nach Antwerpen im Winter bei Schneefall (Van Valckenborch). An den Genfersee mit Nebel und aber auch Sicht auf die Savoyer Alpen (Hodler). Nach Pontoise bei Paris (Pissarro). Ich war an einem Ort, aber auch ganz woanders.
So war es auch am Abend zuvor gewesen, beim Abendessen im Restaurant Lohninger, das sich übrigens lohnt, genauer gesagt habe ich seit circa zweitausend Jahren nicht mehr so gut gegessen wie dort, zudem alles glutenfrei. Ein österreichisches Restaurant in Deutschland an der Schweizer Strasse 1, in dem die Karte unterteilt ist in «Heimat» und «Die Welt», wobei sich der Begriff Heimat auf die Heimat des Küchenchefs bezieht.
Und nach Venedig kam ich ebenfalls, in Raum 14 im Städel Museum, 2. OG: ein Gemälde, welches die Lagune vor dem Markusplatz zeigt, von einem Maler mit einem Namen, der nicht passender sein könnte: Giovanni Antonio Canal, genannt Canaletto. Schon damals im 18. Jahrhundert scheint mächtig Betrieb geherrscht zu haben in Venedig, ein Chaos an Schiffen auf dem Wasser, der Platz voller Menschen, Dichtestress! Zum Glück war ich nicht dort, sondern ganz woanders.