Lieber Roger Federer
ich weiss ja nicht, wie Sie es mit dem Frühlingsputz halten, bei all Ihren Pokalen und Trophäen. Da gibt es sicherlich viel abzustauben. Ich muss sagen: Ich liebe den Frühlingsputz. Denn der Unterschied zwischen dem Danach und dem Davor ist frappant. Vor allem, wenn man den Aufwand nicht scheut, auch die Fenster zu putzen, eine so einfache und dabei so verblüffend effektvolle Arbeit, die an einen veritablen Zaubertrick gemahnt (allerdings: Als noch geraucht wurde, war das Ergebnis weitaus eindrücklicher).
Der Frühlingsputz birgt bloss eine Gefahr: dass man auf Dinge stösst, die man verschollen oder verloren glaubte. Und in eine Erinnerungsspalte fällt. Ich fand Streichhölzer von der Reise im Orientexpress. Oder einen unbeantworteten Leserbrief, in dem mir dazu geraten wurde, mich doch bitte psychiatrisch behandeln zu lassen. Dann hatte ich einen Einzahlungsschein in der Hand, mit dem ich im Jahr 2002 eine Rechnung für mein Natel beglichen hatte, die Summe: 528 Franken und 55 Rappen. Das war damals eine ganz normale Monatsrechnung. Und als blickte ich durch den kleinen blauen Zettel in meinen Händen in die Vergangenheit, taumelte ich zurück in der Zeit. Mir fiel dies ein, mir fiel das ein, es kostete mich einiges an Anstrengung, zurück in die Gegenwart zu kommen und mit dem Frühlingsputz weiterzumachen, doch schon geriet mir etwas anderes in die staubstumpfen Finger: Ihr Ebenbild. Es lächelte von der Titelseite der «Schweizer Illustrierten», Ausgabe Februar 2000. Mit nacktem Oberkörper posierten Sie darauf, an einer Halskette mit Korallen fummelnd, das Brusthaar jugendlich schmürzelig, darunter: «Ich will die Nummer 1 werden.» Hat dann ja auch nicht übel geklappt. Aber deshalb schreibe ich Ihnen nicht, sondern weil mir da etwas in den Sinn kam. Irgendwo habe ich gelesen, Sie hätten einem reichen Geschäftsmann eine Tennislektion erteilt. Und nun nähme mich wunder, wie teuer das käme, so eine Lektion. Wissen Sie, ich musste feststellen, dass viele in meinem Freundeskreis das Tennisspiel für sich entdeckt haben. Sie nehmen Stunden, hetzen winters in Hallen, sommers unter brutzelnder Sonne, erlernen das Spiel, welches sie bis dahin bloss vom Fernseher her kannten. Tja, und ich dachte: Wo bleibe da ich? Ich spiele noch nicht mal Tischtennis. Also kam mir eine Idee: Auch ich werde dieses elegante Kurzhosen-Hinundher erlernen. Und zwar im Geheimen. Niemandem erzähle ich davon. Kein dezentes Prahlen auf Instagram. Keine Erwähnung auch nur am Rande eines Gesprächs. Meine volle Energie stecke ich in den Slice-Aufschlag, in den Topspinlob, in Chip and Charge. Dann, in ein paar Jahren, sagen wir in den Sommerferien in einem Hotel mit Tennisplatz, da sage ich dann beiläufig zu einem Freund, der lässig in kurzen weissen Hosen und mit Schweissbändern an den Handgelenken daherkommt: «Tennis, sicher ein toller Sport, oder?» Mein Freund wird sich denken: Eine leichte Beute, dieser Idiot, den mach ich platt, und sagt: «Soll ich dir ein paar Schläge zeigen?» Ich werde abwehrend die Hände heben und sagen: «Hey, ich bin viel zu ungeschickt.» – «Ach, komm.» – «Okay.» Nach anfänglich tolpatschigen Hauern ins Nichts, lustigen Stolperern und mit lautem Ächzen vom Boden aufgelesenen Bällen würde ich sagen: «Komm, spielen wir ein Match. Um Geld. Hundert Franken?» – «Das kann ich doch nicht tun. Ich spiele schon sechs Jahre.» – «Tausend Franken?» Und dann würde ich gnadenlos zuschlagen. 6:0. 6:0. Heulend würde mein Freund nach dem Spiel an der Bar sitzen, das zertrümmerte Racket neben seinen vom Sand rot geränderten Schuhen. Ich würde mich selber sagen hören, umringt von einer ungläubig bewundernd blickenden Meute: «Ich weiss auch nicht... noch nie so ein Ding in der Hand gehabt... und plötzlich... weiss auch nicht... wohl Naturtalent... kann es selber nicht glauben...» Und dann würde ich zu meinem Freund gehen, ihm den Arm um die Schulter legen und sagen: «Ein tolles Spiel, dieses Tennis.» Ich würde lächeln, ganz sanft. Das ist mein streng geheimer Plan. Und nochmals die Frage: Wie teuer wäre so eine Lektion? Wir könnten uns den Tausender dann auch teilen.
Serve and Volley, Ihr Max Küng
PS: Song zum Thema: «Outbreak Of Vitas Gerulaitis» von Half Man Half Biscuit, 1991.