• Juni 2017

Lieber Herr Spuhler

Peter mit Vornamen, Politiker bei der SVP und Unternehmer, Eisenbahntycoon, geboren in Sevilla, weil Ihr Vater dort Küchenchef war im Luxushotel Alfonso XIII, bevor er eine Stelle im Dolder in Zürich antrat und Sie der nahen Eisfelder wegen sich zu einem passionierten Eishockeyspieler entwickelten und alles kam, wie es kam. In einem Zug sass ich, nicht aus Ihrer Schmiede stammend, 1. Klasse gönnte ich mir, weil es dort Strom gibt und mein Handy arg saftlos war, und also stöpselte ich den Stecker ein. Der Stecker befindet sich unter der Decke, über dem Kopf, sodass das Ladekabel herunterhängt wie eine von einem Baum baumelnde Giftschlange. Wenn es ein kurzes Kabel ist, dann muss man das Handy auf die Armlehne lehnen – und kaum kommt eine Kurve, fliegt es runter. Ich fragte mich, weshalb man den Strom nicht an eine etwas geschicktere Position verlegen konnte, weil: Wenn es etwas gibt in einem Zug, dann doch Strom, oder? Den gibt es in Hülle und Fülle. Und ich dachte: Hoffentlich wird das beim neuen Zug besser.

Der neue Zug wird ja von ihrer Firma Stadler Rail in Bussnang TG gebaut, ab 2019 wird er rollen und den Namen Giruno tragen, was rätoromanisch sei und «Mäusebussard» bedeute, so sagten sie es im Radio*. Und in der Zeitung las ich, dass der Giruno 250 km/h schnell fahre und drei verschiedene WC-Typen habe. Aber was mich wirklich überraschte, war die Wahl des Namens, denn bis anhin dachte ich immer, in Ihrer Firma werden die Namen für Trams und Züge entweder von europaaffinen Ingenieuren mit Zukunftsglauben ausgetüftelt (die vierachsige Lok «EURO3000» etwa oder die sechsachsige Lok «EURO4000»), oder aber man kommt während der feuchtfröhlichen Betriebsfeier drauf («FLIRT», «KISS», «TANGO»).
Haben Sie übrigens gewusst, dass in der ersten urkundlichen Nennung ihres Betriebsstandortes Bussnang der Ort noch «Pussinwanc» hiess? Auch ein interessanter Name, vor allem, wenn man ihn einem Geschäftspartner in, sagen wir, Nordamerika kommunizieren muss. Apropos Ausland: Ich las auch, dass man in der grossen Nation Frankreich den guten alten TGV («Train à Grande Vitesse») tatsächlich in «inOui» umbennen wird, was vielerorts auf Unverständnis stösst, aber erstens ist «inOui» immerhin besser als «ennui», und zweitens bietet die französische Sprache bekanntlich viele Stolperfallen und Tücken, dies merkte ja auch die Automarke Toyota, als man sich fragte, weshalb man in Frankreich so wenige Exemplare des eigentlich fetzigen Flitzers mit dem Namen MR2 (Emmerdeur = Nervensäge) verkaufte.
«Mäusebussard» als Namen für einen Zug zu wählen, kam mir erst etwas seltsam vor, weil ich der Meinung war, das Tier sei so sesshaft wie seine im Dachstock eines Schulhauses hausenden ausgestopften Artgenossen. Man hätte vielleicht einen typischen Zugvogel nehmen sollen, den Hausrotschwanz etwa oder den Sumpfrohrsänger. Keine Ahnung, wie die auf Rätoromanisch heissen, aber italienisch klingen sie auch schnell. Stellen Sie sich einen Zug namens «Codirosso spazzacamino» vor oder den «Cannaiola verdognola».
Ich rief dann bei der Vogelwarte Sempach an (sehr beruhigendes Vogelgezwitscher in der Telefonwarteschlaufe), und dort sagte man mir, der Mäusebussard haue auch hier manchmal ab, wenn arg Schnee komme, gleichzeitig verbrächten aber viele Tiere aus dem hohen Norden die Winter bei uns, genaue Zahlen gebe es allerdings nicht. Die Vogelfreizügigkeit ist eben noch nicht bis ins Detail erforscht.
Giruno also ist ein unerwartbar schöner Name für einen Zug. Und ich freu mich darauf, im Mäusebussard einem Zugvogel gleich durch den Gotthardtunnel zu fliegen, gen Italien, wenn auch untypischerweise sommers. Und die Steckdose ist dann hoffentlich an einem klugen Ort. Das wollte ich nur schnell sagen.


Es grüsst mit erhobener Hand** Max Küng


PS: Wissen Sie übrigens, was Mäusebussard auf Französisch heisst? «Musée des Beaux-Arts».


PPS: Song zum Thema: «Good Name» des kürzlich im Alter von 70 Jahren verstorbenen nigerianischen Synth-Funk-Pioniers William Onyeabor, vom Album «Who Is William Onyeabor?», 2013


* Rätoromanen aber sagen: Falsch. Das o am Ende sei zu viel. Mäusebussard heisse bloss Girun.


** Lokführergruss