• Dezember 2019

LIEBES GLOBUS-WARENHAUS

Die Weihnachtszeit steht an. Der süsse Duft von Glühwein. Der würzige Geruch von schmürzelnden Weihnachtskränzen. Heller Glockenklang. Ich kann mir das alles schon vorstellen – es wird wunderbar sein. Geschenke, die unter den Baum geschoben werden. Das Warten, bis man sie wieder hervorziehen darf. Das Aufreissen des schränzenden glänzenden Geschenkpapiers. Das stockzahnige Lächeln beim Anblick des entblössten Präsents (welches sich eventuell doch etwas von der eben verpufften Vorstellung davon unterscheidet).

Und dann ist die Weihnachtszeit auch schon wieder vorbei, es folgt ihr katergleich die Zeit der Dankbarkeitsbekundungen. Ich erinnere mich, es war furchtbar. Ich hatte vier Patenonkel und -tanten. Ein Quartett von Geschenkelieferanten: toll! Doch brachte dies – wie so vieles im Leben – Verpflichtungen mit sich. Ich musste die Präsente verdanken. In Briefform. Von Hand geschrieben. Schon beim Mich-daran-Erinnern wird mir die Hand ganz lahm. Wie ich am Tisch sass und schrieb: «Lieber Götti, vielen Dank für die schönen Lammfellfinken! Du bist der beste Götti auf der Welt.» Und so weiter.

Ich hasste es, diese Briefe zu schreiben, so sehr, dass ich traumatisiert wurde; bis heute weiss ich nicht, ob man das Wort «Geschenk» mit ck oder ohne schreibt. Ein jedes Mal muss ich im Duden nachschlagen.

Du magst dich nun fragen: «Und was hat das mit mir zu tun? Ich bin ein grosses Warenhaus! Ich bin busy! Komm auf den Punkt!» Lass mich erzählen: Vor ein paar Tagen kam mein Bürokollege ganz aufgeregt ins Pausenräumchen, er strahlte und schrie, um gegen das krosende Kreischen der Kaffeemühle anzukommen: «Ich habe eine Karte bekommen!»

Er sagte, er habe bei dir bloss eine Flasche Wein bestellt. Aber es sei ein schönes Päckli gekommen, inklusive Dankeskarte. Von Hand geschrieben! Das sei noch Service! Das sei nobel! Das zeuge von Klasse! Er zeigte mir die Karte. Tatsächlich. In geschwungener Schrift stand da: «Herzlichen Dank für Ihre Bestellung. Wir wünschen Ihnen schöne Festtage und frohe Weihnachten.» Plus Unterschrift des Leiters deines Onlineshops. Mein Bürokollege war gerührt. Eine persönliche Karte. Er hatte feuchte Augen. «Ich muss gleich nochmals was bestellen», sagte er, «obwohl ich gar nichts brauche.»

Es ging nicht lange, da brachte der Pöstler wieder ein Paket. Mein Bürokollege strahlte. Wieder zog er eine Karte hervor. Wieder von Hand geschrieben. «Schau mal», sagte er, «der Leiter des Onlineshops hat wirklich eine schöne Handschrift.» Mein Bürokollege bestellte gleich wieder was. Erneut kam das Paket. Wieder die Karte. Doch runzelte mein Kollege Inspektor-Columbo-mässig die Stirn. Mit Spucke machte er den Schmiertest. Eindeutig echte Tinte. Er verglich die Karten. Er hielt sie übereinander ins Licht. Und hinters Licht fühlte er sich geführt, als er erkannte, dass die Karten absolut identisch waren. Zwar geschrieben mit Tinte, aber kaum von Hand, denn so präzise schreibt kein menschliches Wesen. Er machte sich schlau und fand schnell heraus: Es gibt Handschriftenroboter. Im Internet findet sich eine grosse Anzahl solcher Angebote. «Erhöhen Sie die Öffnungsrate Ihrer Post, indem Sie diese wie von Hand mit Füllfeder adressieren lassen», steht da. «Mit schriftlichen Botschaften schenken Sie Onlineprodukten mehr Aufmerksamkeit.»

Gestern sass mein Bürokollege niedergeschlagen im Pausenraum. Wie ein geprügeltes Rentier schaute er drein. «Wieder eine Karte?» Er nickte, sagte: «Das Schlimmste daran ist, dass ich wirklich geglaubt habe, dass da jemand für mich etwas schreibt. Wie konnte ich diese Lüge glauben? Ich bin der dümmste Mensch auf der ganzen Welt.» Mein der Naivität überführter Bürokollege meinte, er könne nie mehr was bei dir bestellen. Wenn ihm nochmals eine solche Karte in die Hände geriete, bekäme er einen Heulkrampf.

Authentizität, liebes Globus-Warenhaus, ist ein kostbares Gut. Etwas, das man nicht kaufen kann. Und wenn man es verschenkt, dann sollte die Authentizität besser authentisch sein – sonst bleibt nichts als die Lüge und das schale Gefühl des Betrogenwordenseins. Und wer will sich schon schlecht fühlen, jetzt, in der schönsten Zeit des Jahres?

Mit maschinengedruckten Grüssen. Max Küng

PS Song zum Thema: «Die Mensch-Maschine» von Kraftwerk, vom gleichnamigen Album, 1978.