• Februar 2019

LIEBER OSKAR FREYSINGER

«Der Titel ist die halbe Miete», so geht ein alter Spruch, ich musste daran denken, als ich den Titel Ihres neusten Buches las, welches Sie in der Zeit nach Ihrem unfreiwilligen Rückzug aus der Politik vor zwei Jahren geschrieben haben: «Die dunkle Seite des Lichts» heisst es. Klingt nach grossen Vorbildern, ein bisschen Martin Suter («Die dunkle Seite des Mondes»), ein wenig «Star Wars» («Die dunkle Seite der Macht»). Aber ich muss sagen: Der wie der Fünfliber beim Talerschwingen im konischen Milchbecken mitschwingende Widerspruch im Titel hat etwas. Ich werde dies im vorderen Teil meines Hinterkopfs behalten, denn auch ich bin auf der Suche nach einem griffigen Titel für mein nächstes Buch. «Die kalte Seite des Racletteofens»? «Die trockene Seite der Rotten»? «Der verständliche Teil des Walliserdeutschs»? Nun, ich denke, da denke ich vielleicht besser nochmals drüber nach. Und entschuldigen Sie die eben erwähnten Klischees über Ihren Kanton Wallis. Aber ich kenne ihn kaum, weil: Ich bin mit einer Bündnerin verheiratet. Und wenn es in die Berge geht, dann natürlich immer dem Calanda zu, ab in den heiligen Kanton. Da gibts kein Pardon. Andere Bergregionen werden rigoros ignoriert. Darum kenn ich vom Wallis bloss den schmelzenden Käse und ein paar andere Klischees, die schauerlichen Fasnachtsmasken aus dem Lötschental etwa – oder Sie.

Ihr neues Buch heisst, wie gesagt, «Die dunkle Seite des Lichts» (nicht zu verwechseln mit «Lügendes Licht: Die dunklen Seiten der Energiesparlampe», einem Sachbuch aus dem Hirzel-Verlag; auch nicht mit «Das Schattenreich der Vampire 4: Im Schatten des Lichts» von Bella Forrest). Es verkaufe sich «hervorragend», wie Sie einem Journalisten sagten. Dies ist wenig überraschend. Nicht, dass es sich «hervorragend» verkaufe, sondern dass Sie dies sagten, denn selten hört man einen Schriftsteller kundtun, sein neustes Buch verkaufe sich «jämmerlich» oder «schlecht» oder «miserabel».

«Wie verkauft sich Ihr neues Buch?»

«Schleppend.»

Dabei wissen wir: Vom Schreiben von Büchern zu leben ist hartes Brot, auch wenn der Walliser gern auf hart macht und sagt: «Herts Broot isch nit herts, keis Broot isch herts». Rein wirtschaftlich gesehen, ist das Bücherschreiben so ähnlich wie das Bergbauern – selbst wenn sich die Bücher «hervorragend» verkaufen, denn bevor sie sich «hervorragend» verkaufen, müssen sie ja erst einmal geschrieben werden.

Und ich bin echt neidisch auf Sie. Das geb ich zu. Denn seit Ihrer Abwahl als Walliser Staatsrat erhalten Sie vom Kanton eine Rente von jährlich 80 000 Franken. Das ist ein hübsches Sümmchen. Und zudem fliesst diese Rente lebenslang wie ein «Win for Life»-Los-Gewinn der Lottogesellschaft. Jahr für Jahr prasselt es auf Sie hernieder. Bis ans Ende Ihrer Tage. Da lässt es sich natürlich formidabel dichten und reimen, wenn der kantonale Geldfluss auf sie herniederprasselt wie der herrliche Pissevache-Wasserfall in Vernayaz, während andere Schriftsteller in ökonomischen Tropfsteinhöhlen hausen.

Auf diese Art wäre ich auch gern ein Rentner. Obwohl ich mich schon etwas frage, wie Ihre Partei dazu steht, die SVP: Einer bekommt vom Staat Geld dafür, dass er nichts tut? Klingt nach etwas, worüber in der «Weltwoche» geschrieben werden sollte. Klingt nach Skandal, Schmarotzertum und irgendwie stossend. Oder? So rein dem Empfinden des einfachen Mannes nach, der wir ja alle sind? So rein moralisch gesehen?

Ich sollte meinen Sozialneid hinunterschlucken. Denn es geht ja um die Kunst. Nicht das schnöde Geld. Und ein gewisser Leidensdruck ist der Arbeit nie abträglich. Obwohl: 80 Tonnen im Jahr? Fürs Nichtstun? Einfach so? «Dr Güegu a ner Welbi mottut schi», würde der Walliser da wohl sagen.

Gut, ich denke derweilen weiter über einen griffigen Titel nach. «Die helle Seite der Dunkelheit?» Wär das was? Oder: «Die kalten Beine der heissen Hose?» «Die...» Ahhhrrrgggghhhh, gar nicht so einfach!

Mit fiktionalen Grüssen Max Küng

PS Song zum Thema: «Writer’s Block» von Peter Bjorn and John vom gleichnamigen Album (2006). Der Song dauert zwar bloss 16 Sekunden, aber dann übergumpen Sie einfach das lärmig eröffnende «Objects Of My Affection», schon sind Sie beim dritten Titel: «Young Folks»!