LIEBER KÖBI KUHN
Zu Lebzeiten waren Sie ein Held. Und nun, nachdem Sie traurigerweise verstorben sind, ist Ihr Heldenstatus noch gewachsen. Ich stelle mir vor, wie Sie im Himmel oben nicht durch die klimatisierte VIP-Loge wandeln, sich nicht am himmlischen Gratisbuffet den Magen vollschlagen, sondern – ganz Ihrem bescheidenen Naturell entsprechend – auf der Normalo-Tribüne hocken, eine Bratwurst * mit Senf essen und aufs Spielfeld hinabblicken, auf dem der Alltag des Erdendaseins seinen Lauf nimmt. Sicherlich erstrahlt fein Ihr schmunzelndes Lächeln auf Ihrem Gesicht. Zum Beispiel über den Streit, der entbrannte, da manche nun meinen, Ihnen gebühre verdammt noch mal jetzt aber endlich die Ehre, dass in Ihrer alten Heimat in Zürich-Wiedikon eine Strasse nach Ihnen benannt wird. Dann aber meldete sich sogleich eine Grünenpolitikerin, die sagte: Halt! Wenn in Zürich Strassennamen vergeben würden, um Tote zu ehren, dann seien ab sofort und bis auf weiteres nur noch Frauen zu berücksichtigen. Aus Gründen der Gleichberechtigung. Sie können sich denken: In den Leserbriefspalten waren die Meinungen ungespalten und heftig. Da wurden so manches Meinungspyro abgebrannt und einige Rückständigkeitsböller gezündet! Immer diese hysterischen Weiber mit ihren überzogenen Forderungen! Auch ich dachte zuerst: Oh Mann, sind das eure Probleme? Dann aber schaute ich mal nach. Das ist das Gute an der Schweiz: Es ist alles fein säuberlich aufgelistet. So auch alle benamsten Strassen, Plätze und Wege, die es in Zürich gibt.
Ich habe gezählt. 44 tragen Namen von Frauen – und damit meine ich Frauen, die für ihre Leben, ihre Leistungen geehrt wurden. Nicht Strassen, die einfach bloss randommässig Vornamen wie Erika oder Marta tragen. Der Marie-Curie-Platz etwa; der Laura-Hezner-Weg. Auch wenn ich auf die Schnelle nicht sagen könnte, wer Laura Hezner war. Aber schliesslich weiss ich auch nicht, was beispielsweise Caspar Wüst geschaffen hat, obwohl ich unlängst durch die nach ihm benannte Strasse fuhr**.
44 Frauen wurden zu Strassen. Und wie viele Männer? Es sind 232. Ein Verhältnis von 1:5,3 also. Das ist durchaus eindrücklich. Im Fussball spräche man von einem klaren Ergebnis, eventuell einer Klatsche gar. So gesehen, ist die Forderung der Grünenpolitikerin kein frech-unrasierter Schreckschrauben-Extremismus, sondern einfach bloss gerecht, vernünftig und nachvollziehbar. Sogar für einen Mann.
Es gibt ja durchaus ein paar Strassen, deren Namen man umwandeln könnte. Kommt ja immer wieder vor. Im Jahr 2004 etwa hat man den Adolf-Jöhr-Weg in FIFA-Strasse umbenannt. Jöhr war Banker und Kunstsammler – immerhin. Aber FIFA-Strasse passt viel besser, weil: Sie ist eine Sackgasse. Saumackerstrasse ist auch ein Beispiel für einen Strassennamen, den man zugunsten der Frauen abtreten könnte, obwohl: Der Saumacker hat auch seine Berechtigung als Mahnmal, für den saumässigen Mackertypen! Dann halt Wohnstadion Kirchenacker? Denn will wirklich jemand diesen Namen auf eine Adresszeile schreiben? Das klingt doch, als wohne man schon bei Ihnen oben im Himmel: Wohnstadion Kirchenacker!
Oder die Rudolf-Brun-Brücke! Ich kenne einen, der niemals über die Rudolf-Brun-Brücke geht. Weshalb? Weil er Jude ist und der Brun im 14. Jahrhundert erster Bürgermeister von Zürich war – und die Juden für die ausbrechende Pest verantwortlich machte, sie in ein Haus einsperren liess, das angezündet wurde, die Juden einer sogenannten «göttlichen Feuerprobe» unterzog. Das Vermögen der Ermordeten riss er sich unter den Nagel. Für meinen Bekannten ist es unerklärlich, dass man einen wie Brun mit einer Brücke ehrt. Warum also nicht die Rudolf-Brun-Brücke in beispielsweise Trudi-Demut-Brücke umbenennen? Trudi Demut kennt niemand? Na, dann sollte man sie besser endlich kennen lernen! Zudem: Demut hat man nie genug, oder? Trudi-Demut-Brücke. Klingt doch schön!
Wunderbare Weihnachten im Himmel! Max Küng
PS Song zum Thema: «Nameless, Faceless» von Courtney Barnett, vom Album «Tell Me How You Really Feel», 2018.
* die hoffentlich besser schmeckt als die grässliche Wurst im Letzigrund-Stadion. Die sollte besser Letzti-Wurst heissen.
** Achtung: 30er-Zone!