• März 2019

LIEBER KLUMPEN

Hast du gewusst, dass heute Robert Wilhelm Eberhart Bunsen Geburtstag hat, der Erfinder des Bunsenbrenners? Auch MC Hammer feiert heute Geburi. Zudem Goya, der Malermeister. Ich beginne diesen Brief aber bloss mit den Burzeltag-Depeschen, damit ich nicht mit «Weisst du noch, früher?» beginnen muss. Denn einen Brief so zu beginnen, hiesse, Nostalgiker zu sein. Und du weisst, Nostalgie ist für mich dasselbe wie Schlagermusik: der Soundtrack für Verlierer, die mit der Gegenwart hadern, mit der Zukunft sowieso. Aber im zweiten Absatz kann man es bringen:

Weisst du noch, früher? Das erste Formel-1-Rennen der Saison, live aus Australien, morgens um sechs? Bis zum Start hingen wir erst in den Bars rum, danach zockten wir daheim «Mario Kart 64», wurden müder und müder, bis endlich, endlich das verdammte Rennen losging, live aus Melbourne – und nach fünfzehn Runden nickten wir ein, während die Rennwagen aus Australien verlässlich ihre Runden drehten, rechts rum um den künstlichen See im Albert Park. Das war schön!

Ich schaue auch heute noch jedes Rennen. Vor zwei Wochen sass ich pünktlich zum Saisonstart sonntags kurz vor sechs vor der Kiste, um den Grossen Preis von Australien zu sehen. Bis ich nach zehn Minuten feststellte, dass ich den falschen Sender gewählt hatte. War wohl doch noch etwas müde, dachte erst, sie hätten die Regeln für die neue Saison krass angepasst, aber dann merkte ich: Ich guckte SRF 2 statt SRF 1 – und da lief der Querschnitt durch die Basler Fasnacht. Wer zur Hölle schaut morgens um halb sechs eine Fasnachtssendung?

Das Rennen war langweilig. Die Leute sagen ja gerne: «Wie kannst du dir das antun? Formel-1-Rennen sind doch das Ödeste, was es gibt!» Dann sag ich: «Genau! Darum geht es ja. Die Langeweile macht die Spannung aus. Im Nichts liegt Alles!» Und wenn sie dann sagen: «Aber Autorennen sind so anachronistisch, jetzt, in der Zeit der Klimarettung! Das ist doch bloss prätentiöse kapitalistische Spitzentanzerei.» Dann sag ich: «Wohl wahr, aber Autos haben meine Kindheit gerettet.» Denn so war es gewesen. Als unsportlicher, dicker, bart- und brillentragender Bube war ich immer der Aussenseiter. Doch ich wusste alles über die Formel 1. Dank Fachzeitschriften! Das brachte mir einen gewissen Respekt ein, man liess mich in Ruhe, klaute mir nicht mehr immer das Znünibrot oder schlug mich ab. Deshalb bin ich der Formel 1 etwas schuldig, bis zum heutigen Tag.

Warum ich dir aber schreibe: Auf Netflix läuft eine Dokuserie mit dem behämmerten Titel «Formula 1: Drive to Survive». Sie ist grossartig! Ein Heldenepos von heute: Männer voller Ehrgeiz, hart wie Erz. Männer mit Geld und Macht und dicken Bäuchen! Männer mit vor Hass und Verachtung geschwollenen Hälsen! Männer, die siegen! Männer, die verlieren! Männer, die weinen! Ich dachte immer, der Formel-1-Zirkus sei ein Irrsinn, aber nach dieser Serie weiss ich, er ist ein irrsinniger Irrsinn! Schau sie dir an, du wirst danach die Rennen mit anderen Augen sehen.

Apropos Netflix... ich meine: Netflix ist ein bisschen wie eine Geliebte, die einen schnell zu langweilen beginnt: Anfangsthrill, aber keine Substanz. Doch man rechnet nicht mit der Cleverness ihres Algorithmus, ihrer Raffinesse. Kaum denkt man: Genug! Ich habs gesehen, ich geb ihr den Schuh, mach Schluss... da kommt sie mit was Neuem, und schon ist man wieder angefixt für weitere zwei Wochen. Hey, nicht dass du denkst, ich hätte eine Geliebte, nein, nein! Das ist nur ein Bild, eine Metapher. Ich bin sehr glücklich mit meiner Frau und meinen sechs Rennvelos. Nicht dass es keine Gelegenheiten gäbe. Nach Lesungen stecken mir immer wieder unternehmungslustige rüstige Rentnerinnen zwinkernd gefaltete Zettelchen mit Postadressen und Festnetznummern zu. Aber eben: Ich bin monogam wie eine verstockte Stockente. Apropos Ente: In der Zeitung mit dem sinnigen Titel «Die Zeit» las ich vor Jahren einen Artikel mit dem Titel «Monogamie im Tierreich – Manchen ist Fremdgehen schlicht zu anstrengend». Da dachte ich: Manchmal sind die Tiere die gescheiteren Menschen!

Mit dröhnenden Grüssen, Max

PS Song zum Thema, partiell: «Friday Night Saturday Morning» von The Specials (1980), je nachdem auch in der MDMA-optimierten Version von Nouvelle Vague (2004).

PPS Apropos Fasnacht: Max Küng liest am Mittwoch, 3. 4., in Basel, im Parterre One. Beginn: 20.30 Uhr.