LIEBER JEFF BEZOS,
Gründer von Amazon, noch immer dessen Boss und darum aktuell reichster Mann der Welt (107 Milliarden nach der kürzlichen Scheidung, vorher 150, scheints). Wenn ich die Bäckerei-Konditorei auf dem Weg in mein Büro betrete und ein Käseküchlein bestelle, dann kann dies ein Indiz für einen Kater sein. Denn mit einem Kater kommt immer die Lust auf ein fettiges, salziges Frühstück. Allerdings kann der Kater nicht sehr ausgeprägt gewesen sein, denn ohne dass mir übel wurde, konnte ich die riesige Torte betrachten, die in der Kühlvitrine auf ihre Abholung und spätere Verspeisung wartete. Ein wahres Monstrum von einer Torte, reich dekoriert und mit einem Spruch zur Konfirmation einer Cinzia. Der verschnörkelte Zuckergussspritzschriftzug auf dem Marzipandeckel der Buttercremetorte lautete: «Gott schreibt ein Lied für Dich, doch singen musst Du es selbst.»
Als ich die Bäckerei wieder verliess, das kalte Käseküchlein in der Klaue und bald zwischen meinen Kiefern, dachte ich: «In meinem Fall muss es ein Instrumentalstück gewesen sein, wenigstens jenes für den heutigen Tag.» Mehr brummend als summend ging ich zum Kiosk und kaufte ein paar Zeitungen. Das tue ich dann und wann, denn wer weiss, wie lange es noch Zeitungen gibt. Ausserdem erhoffte ich mir von der Lektüre Futter für das Arbeitsfaultier in mir.
Sie, Jeff Bezos, haben ja auch eine Zeitung gekauft, nämlich die «Washington Post» für 250 Millionen Dollar. Die «Bild»-Zeitung am Kiosk kostete bloss 1.80 Franken! Ich blätterte sie durch, sah ein Inserat für marinierte Schweinerückensteaks (das Kilo für 7 Euro und 41 Cents, also wohl eher nicht bio), las einen kurzen Bericht über die aktuellen Aktivitäten von Altkanzler Gerhard Schröder (seiner fleissigen Dienste für Putins Energiewirtschaft wegen schlicht «Gas-Gerd» genannt), las von einer Schildkröte, die irgendwo den Verkehr lahmlegte – und dann erst fiel mein Blick auf die Titelseite: «Der grosse Betrug bei Amazon»! Also bei Ihnen! Genauer geht es um gefälschte Kundenbewertungen von Produkten, die auf Amazon angeboten werden.
Ich bestelle bei Amazon nur Dinge, die ich im Buchladen zu bestellen mich schäme, Schmuddelware wie das Buch über das Esoterik-Topmodel Christina von Dreien («Die Vision des Guten»), denn ich will nicht, dass mein Buchhändler meinen könnte, ich läse solches Zeugs. Amazon lehne ich als Kunde aus vielen Gründen ab, nicht nur wegen der Erregungsdämpfung des Kaufaktes oder der Zerstörung soziokulturell wichtiger Orte im städtischen Raum.
Als Autor von Büchern jedoch darf man nicht zimperlich sein. Da muss einem jeder Vertriebskanal recht sein. Allerdings sollte ein Autor eine Sache niemals tun: auf Amazon den Verkaufsrang oder die Bewertungen seiner eigenen Produkte checken – ausser er hat Bock auf eine kleine Depression. Aber wie es so ist, wenn man einen Kater hat: Schon drückt man tapsig die Tasten, schon liest man, was die Kunden so denken. Respektive: Nach der «Bild»-Schlagzeile musste ich natürlich kontrollieren!
Mein letzter Roman ist – das kann ich von Herzen sagen – wirklich ausgezeichnet. Trotzdem erhielt das Buch bei Amazon im Schnitt der Kundenrezensionen bloss vier Sterne (von maximal fünf). Dies auch, weil eine Frau namens Cornelius dem Buch nur einen Stern verlieh: die schlechteste Note. Sie fand: «Das Buch hat keinen Spannungsbogen...» Ihr gutes Recht. Frau Cornelius hat noch 17 andere Produkte bewertet, die sie bei Amazon gekauft hatte. Zum Beispiel eine Tapezierschere (5 Sterne); ein Nachtlicht fürs Kinderzimmer (5 Sterne); eine Packung Kürbiskerne aus der Steiermark (geröstet u. gesalzen, 5 Sterne); ein Make-up-Pinsel-Set inkl. Tasche aus Kunstleder (3 Sterne). Ein anderes Buch als das meinige hat sie nicht bewertet; dabei ist doch das Zweitbuch so sehr im Trend! Warum musste sie gerade mein Buch kaufen? Oder ist sie Teil des grossen Amazon-Betrugs?
Ich entliess den Computer in den verdienten Ruhezustand, biss in das Käseküchlein und horchte nochmals in mich hinein, ob ich ein neues Lied hörte, das jemand für mich geschrieben hatte. Aber alles, was ich hörte, war ein Schnurren: eindeutig ein Kater, der gestreichelt wurde.
Mit Gruss
Max Küng
PS Song zum Thema: «The Night Before» von Lee Hazlewood vom Album «Cowboy in Sweden», 1970.