LIEBER HARALD KRÜGER
Sie sind Vorstandsvorsitzender der Bayerischen Motoren Werke Aktiengesellschaft, kurz BMW AG, und durchleben scheints gerade etwas strube Zeiten. Man redet von Machtkämpfen, da der Aktienkurs schwächle. Und so weiter. Aber darum geht es hier nicht, sondern um Ihre Produkte, genauer: um eines Ihrer Fahrzeuge, welchem ich in der Stadt über den Weg lief.
In einer Stadt zu leben, hat gewisse Vorteile in Form von Möglichkeiten und Trubel, kann aber genau deswegen auch anstrengend sein. Unlängst kam ich nachts nach Hause und sah einen, der an unsere Hauswand urinierte. Ich sagte ihm: «Muss das sein?» Er sagte: «Halt die Fresse. Ich bin ein Eidgenosse!» Ich erwiderte, dass mir der Zusammenhang zwischen dem von ihm erbetenen Schweigen meinerseits und seiner Selbstwahrnehmung als Eidgenosse nicht ganz klar sei. Und auch der Zusammenhang zwischen seiner Selbstdefinition und dem von ihm herausgenommenen Recht auf Entblössung und Wasserlassen im öffentlichen Raum bedürfe einer Klärung. Aber da reagierte er schon nicht mehr, sondern betrachtete voller Zufriedenheit, ja Zärtlichkeit den eidgenössischen Urin, der aus seinem bleichen Rüssel an unsere Hausfassade spritzte, ihm über die Schuhe lief.
In dieser Stadt also erblickte ich eines Ihrer Autos, ein brandneues Modell. Es stand auf einem Parkplatz, dessen Markierungen man nicht mehr sah. Ich musste stehen bleiben, einmal rundherum gehen. Auf dem Hinterteil stand die Modellbezeichnung X6 M50i. Das Auto sah aus wie ein blecherner Kampfhund auf 22-Zoll-Rädern. Ein Monstrum. Mit bösem Blick. Es schien zu knurren und wirkte so sonderbar und fremd wie etwas aus einem Marvel-Film. Ich war fasziniert; vor Schreck. Und mit Bestimmtheit kann ich sagen: Noch nie in meinem Leben habe ich ein so hässliches Auto gesehen.
Ich weiss, Sie stellen bloss her, was die Kunden sich erträumen, wonach sie verlangen und wofür sie Geld auszugeben bereit sind. Jede und jeder darf tun, was ihr oder ihm beliebt. Wir leben ja in einer freien Gesellschaft. Ihre Autos jedoch sind Teil des öffentlichen Raums. Ob man will oder nicht: Man nimmt sie wahr, muss mit ihnen leben. Und deshalb darf man eine Meinung über sie haben.
Alle reden vom Klima und einer besseren Welt. Alle reden von einer neuen Vernunft. Ein Blick auf die Strassen in unseren Städten jedoch spricht eine ganz andere Sprache. Dort wird alles dicker, fetter, martialischer. Die Aufrüstung ist in vollem Gange. Die Autos sagen nicht: «Ich bin okay, du bist okay», sondern: «Was kuckst du? Haste Probleme? Mach Platz, oder ich mach dich platt!» Und das ist natürlich Absicht. So soll es sein: aggressiv; extrovertiert; exaltiert.
Ihr Brachialmodell X6 wird im Prospekt mit folgenden Sätzen und Slogans beworben: «Einzigartigkeit in ihrer dominantesten Form.» – «Makellose Macht.» – «Geschaffen, um anzuführen.» – «Eine neue Form der Machtausübung.»
Problematische Worte. Vor allem: «Eine neue Form der Machtausübung.» Als ginge es darum, mit einer neuen Superwaffe in einen Krieg zu ziehen.
Ich denke, man sollte diese neue Form der Machtausübung eindämmen und für solche Fahrzeuge Leinenzwang einführen, sie generell aus Städten verbannen oder auf 25 km/h plombieren. Einen X6 M50i mit einem 25 km/h-Kleber auf der Stossstange kann ich mir gut vorstellen – und auf der Stossstange hats ja wahrlich genug Platz dafür.
Etwas muss ich noch anmerken: Die Farbe des Autos, welches mich mit seinem Schrecken bannte, sie war schön! Ein eleganter Grauton. Laut Prospekt ist es «Sophistograu Brillanteffekt metallic». Sophistograu! Das klingt bezaubernd. Und da mir das Wort «sophisto» unbekannt war, machte ich mich schlau. Wissen Sie, wie das «Urban Dictionary» den Begriff «sophisto» definiert? «Used as a generic term to describe any dickhead belonging to the middle class.»
Ich wünsch Ihnen schöne Sommerferien.
Max Küng
PS Song zum Thema: «Samba De Verão» von Marcos Valle, 1964, gerne auch in einer der vielen Coverversionen, etwa in der schön beorgelten Variante von Astrud Gilberto: «So Nice (Summer Samba)», 1965.