• Juni 2022

LIEBE THERESE SCHLÄPFER

Entschuldigen Sie, dass ich Ihnen schon wieder schreibe, ich tat dies ja bereits vor ein paar Wochen, um Ihnen zu Ihrer brillanten Idee zu gratulieren, die Velonummer wieder einzuführen, um das Fahrradfahren zu besteuern. Sie als SVP-Nationalrätin machen sich ja für diese Sache mächtig stark. Ich schreibe Ihnen, da mir in der Zwischenzeit noch andere Ideen für andere Steuern kamen! Wenn man mal damit anfängt, sich neue Steuern auszudenken, kann man nicht mehr damit aufhören. Eine richtiggehende Sucht. Manchmal schrecke ich mitten in der Nacht aus dem Schlaf, wenn mir im Traum eine Steueridee kommt! Deswegen liegen auf meinem Nachttisch jetzt Notizblock und Bleistift. Zum Beispiel sollten Cabrios höher besteuert werden als Normalautos, da Verdecklose viel mehr dieser herrlichen Frischluft konsumieren können als Menschen, die in geschlossenen Pkw den Ausdünstungen ihrer Mitfahrer:innen ausgesetzt sind. Ich weiss, dass Sie selbst gerne im Cabriolet durchs zürcherische Eulachtal brausen, mit knatterndem Auspuff, ihre blonde Mähne im Fahrtwind flatternd, ein Grinsen der Freiheit auf dem Gesicht und Mücken zwischen den Zähnen.

Apropos Freiheit: Eigentlich schreibe ich auch wegen Buus, denn dort sind sie ja heimatberechtigt. In Buus im nördlichen Oberbaselbiet. Nundefaane! Ich bin im Dorf nebendran gross geworden, in Maisprach, oder wie man dort sagt: Maischbrg. Als ich las, dass sie aus derselben Ecke stammen wie ich, musste ich gleich ihren Jahrgang googeln, denn in mir loderte wie eine Bunsenbrennerflamme der Sehnsucht eine Erinnerung auf: Hatte ich nicht mal einen Spaghetti-Tanz bei einer Blauringparty in Gelterkinden mit einer, die ihnen ähnlich sieht? Also: Mit einem Mädchen, das heute so ausschauen könnte wie sie. Doch dann sah ich, dass zwischen uns doch ein paar Jährchen liegen. Unwahrscheinlich, dass wir es waren, umständlich umschlungen und Spaghetti knabbernd in der Dunkelheit des Jugendgruppenkellers, uns zur Musik von Foreigner («I Want to Know What Love Is») langsamst um die eigene Achse drehend wie aus der Bahn geratene Planeten.

Aber da kommt mir eine Idee: Könnte man nicht den Spaghetti-Tanz besteuern? Denn wer Spass hat, dem oder der sollte das auch etwas wert sein, oder? Ach, ich würde Ihnen gerne noch länger schreiben, aber ich habe eine Deadline, muss einen Text abliefern. Wobei: Deadline will ich ja eigentlich aus meinem Wortschatz streichen. Seit ewig gehört die Deadline zu meinem Leben. Deadline hier! Deadline dort! Meist in jammervollem, klönendem Tonfall ausgesprochen und mit Augenverdrehen. So eine Deadline kann einem ganz schön den Tag vermiesen. Aber seit ich weiss, woher das Wort stammt, will ich es nicht mehr verwenden. Denn «Deadline» klingt zwar schmissig und modern, stammt jedoch aus der staubigen Zeit des Amerikanischen Bürgerkriegs. Damals hatte man für die Gefangenen zu wenig Platz in den Gefängnissen. Also trieb man sie auf Felder und zog wie auf einem Fussballplatz Linien, um die Grenzen zu markieren. Es war quasi ein Open-Air-Gefängnis ohne Mauern. Und wer die Linie überschritt, die oder der wurde – ähnlich wie in der Nextflix-Serie «Squid Game» – erschossen. So entstand der Begriff Deadline. Unschön, finde ich und möchte ihn durch «Abgabefrist» oder «Textlieferfenstertorschlusspanik» ersetzen.

Aber ich will Sie nicht länger aufhalten, sonst kommen Sie noch auf die Idee, das Briefeschreiben zu besteuern. Dies wiederum führte dann doch etwas zu weit, sogar für mich. So long!