LIEBE MOTORRADFAHRER UND -INNEN
Wisst ihr, was das Schönste ist am Rennvelofahren? Das zu tun, was ich eben gerade getan habe: mit gemütlichen dreiundneunzig Kilometern in den zufrieden surrenden Beinen frisch geduscht im Gartenstuhl zu hängen, an einem kühlen Bierchen zu nuckeln und in Gedanken nochmals über all die herrlichen Hügel zu kurbeln. Grossartig! Und was ist das Unschönste am Rennvelofahren? Was könnte das wohl sein? Nun, ich denke, das wisst ihr ganz genau, oder? Weil: Ihr seid es. Weil: IHR NERVT! Vielleicht aber nicht mehr lange, denn es tut sich was. In Deutschland drüben will man euch schon länger an den Auspuff. Und in Tirol hatte man nun endgültig genug, man schreitet zur Tat und kastriert euch, was die Dezibelwerte angeht, den Lärm, der aus euren heissen Rohren knattert. In Tirol sind ab dieser Woche laute Motorräder auf ausgesuchten Strassen bis und mit 31. Oktober verboten. Bei Zuwiderhandlung drohen hohe Geldbussen. Als ich dies las, holte ich mir gleich noch ein eisiges Bier aus dem Kühlschrank.
Auch auf meiner heutigen Fahrt traf ich ein paar von euch, liebe Motorradfahrer und -innen, so wie ein jedes Mal, denn auch ihr mögt die kurvigen Strassen, die sich auf die Berge hochschlängeln, sich durch Wälder winden und Flussläufen entlangmäandern – doch leider weniger aus Gründen der Idylle und des Naturerlebnisses, sondern des blossen Tempokicks wegen. Bald einmal hatte ich einen Hals so dick wie Hulk, denn immer wieder schoss einer von euch an mir vorbei wie eine Inkarnation einer vor Jahrmillionen ausgestorbenen Riesenhornisse. Zu nah! Zu schnell! Zu laut! Ich schrie euch schlimme Namen nach. Zum Glück gibt es so viele Schimpfwörter – von allen machte ich Gebrauch. Denn: Ihr seid als rollende Nervensägen ja nicht allein auf den Strassen unterwegs. Es gibt noch andere Störenfriede. Da sind beispielsweise noch die BMW-Rowdys mit ihren aufgemotzten vierauspuffigen Kurzschwanzprothesen. Cabrio-Freizeitkapitäne mit ihren depperten Dächlikappen. Weisse, fette SUVs, deren Lenker sich mehr um ihre Rückspiegel als um andere Verkehrsteilnehmer sorgen.
Und was ist noch schlimmer als übertrieben laut heulende Motoren? Genau: übertrieben leise Motoren! Die Tesla-Elektromonster, die sich geräuschlos passiv-aggressiv anschleichen und scheinbar aus dem Nichts kommend wie «Star Wars»-Raumschiffe nach dem Hypersprung einen zu Tode erschrecken. Aber auch auf den Velowegen ist man nicht sicher, denn da kommen einem Inlineskater entgegen, die in einer der würdelosesten aller würdelosen Körperbewegungen über die Wege torkeln. Und es gibt auch radlose Ärgernisse. Hündeler etwa, die es geil finden, ihre haarigen Tiere über Velowege zu befehligen, und bei Reklamation mit scharfem Bissbefehl drohen! Aber eben: Am schlimmsten von allen seid noch immer ihr, liebe Töfffahrer und -innen, denn was ihr geil findet – mit hundert Sachen zu viel auf dem Tacho an einem vorbeizujagen –, das nervt gewaltig. Gut, ihr könntet nun sagen: He, wenn es dir nicht passt auf den Strassen, wenn du dir zu fein bist für die raue Realität, dann kannst du ja zu Hause bleiben, dort auf deinen ach so hochgelobten Hometrainer klettern und schwachsinnig an Ort und Stelle treten! Aber: Nein, das kann ich nicht. Weil: Zu Hause ist der Ort, wo der ist, der mich am allerallerallermeisten von allen nervt, über Jahrzehnte hinweg nun schon, jene Person, derentwegen ich all die Alltagsfluchten überhaupt erst unternehme: ich selbst.
Deshalb schlage ich vor: Beruhigen wir uns. Schalten wir einen Gang runter. Besänftigen wir Gandhi-mässig die Hand am Gashahn. Wahren wir An- und Abstand: einen Meter und fünfzig Zentimeter beim Überholen, bitte! Versuchen wirs mit Respekt und Gemütlichkeit. Dann kommen wir alle aneinander vorbei. Okay? Und sollte dies doch nicht klappen, wollt ihr nicht hören, dann: Fahrverbot total! Ihr Trottel! Ihr Idioten! Ihr... ihr... ihr...
Es grüsst mit dezent vom Lenker gelupfter Hand: Max
PS Song zum Thema: «Speeding Motorcycle» von Daniel Johnston, 1983, oder eine der Coverversionen, etwa von den Pastels, 1991, oder von Yo La Tengo, 1990.