• August 2020

LIEBE FRAUEN, WEIBER, CHICKS UND MÄDELS, DAMEN SOWIESO

Ich weiss ja nicht, wie es sich für euch anfühlt, wenn ihr einen ganzen Tag lang vor dem Fernseher gesessen/ gelegen/gestanden seid, ich aber fühlte mich seltsam nach diesem einen Samstag im August. Nicht des Umstandes wegen, dass ich ein schönes Stück eines ganzen Tages meines Lebens verschwendet hatte. Nein, das ist dann und wann durchaus heilsam, ja erstrebenswert sogar, denn erst durch die gelebte Sinnlosigkeit wird man der Sinnhaftigkeit gewahr, viel stärker als umgekehrt. Nein, ich fühlte mich seltsam, da ich war, was ich zu grossen Teilen noch immer bin: ein Mann.

Es war ein Samstag; die flache Flimmerkiste war auf SRF 2 eingestellt. Kurz vor 15 Uhr ging es los mit dem Formel-1-Training direkt aus Silverstone. Der Rennsport ist – wie man so schön sagt – eine Männerdomäne. Die einzige Frau, die dort seit der Abschaffung der Grid-Girls und der Boxenluder eine wichtige Rolle verkörpert, ist Claire Williams als Vizechefin des gleichnamigen und leidlich erfolgreichen Rennstalls, der ihrem Vater gehört. Die letzte Frau, die sich als Fahrerin für ein Formel-1-Rennen zu qualifizieren versuchte, war Giovanna Amati im Jahr 1992 (dreimal, immer erfolglos). Niki Lauda soll damals gesagt haben: «Ist sie wenigstens hübsch – oder ein Muskelweib?» Doch dies war vor langer Zeit, da waren Machosprüche normal. Heute leben wir im Jahr 2020, und da ging es auf SRF 2 mit Radsport weiter, live aus Italien zeigte man die letzten 230 Minuten des 305 Kilometer langen Klassikers Mailand–Sanremo: 162 Männer in engen Kleidern auf schmalen Rädern. Frauen? Am Strassenrand sah man manche stehen, und bei der Siegerzeremonie zwei links und rechts vom Podium mit Werbeschärpen eines Reifenherstellers behängte Ehrendamen, die unter der ligurischen Sonne strahlten. Ansonsten natürlich nur Männer. Nach dem Velorennen folgte Fussball, genauer: das Champions-League-Spiel zwischen Manchester City und Real Madrid, danach – draussen dunkelte es bereits – Barcelona gegen Napoli. Die einzigen Frauen, die man auf SRF 2 an diesem Tag genauer zu Gesicht bekam, waren jene seltsam mit den Hüften Wackelnden, die in den sogenannten «Station Idents» gezeigt wurden, jenen sekundenkurzen Spots, die wie Backpapier den Kuchen vom Blech den Inhalt von der Werbung trennen. Diese an und für sich schon seltsamen Miniaturen wirkten in diesem ansonsten gänzlich frauenleeren Kontext allerdings reichlich irritierend.

Ich ging zu Bett, doch auf SRF 2 lief das Programm weiter. Auf den Tag mit Sport folgte eine Nacht voller Musik: Aufzeichnungen von Open-Air-Konzerten aus jenen Zeiten, als es noch Open-Air-Konzerte gab, und zwar gleich deren neun hintereinander: Hecht, Lo & Leduc, Nemo et al., bis es draussen wieder hell war. Dabei: durchs Band nur Männer, solo oder in Bands, kein einziger weiblicher Act.

Als ich im Bett lag, da dachte ich, kurz bevor mich der Schlaf in sein dunkles Reich zog: Einen Tag lang SRF 2 zu schauen, das ist wie eine Simulation des Daseins in einer Welt ohne Frauen. Als sässen da die Taliban am Leutschenbach. Wäre ich eine Frau, mir würde das mächtig auf die Eier gehen! Ich würde da den Rock raffen und auf die Barrikaden steigen! Ich würde skandieren: «Was für eine Machokacke läuft denn da in Leutschenbach?!» Den auch tags darauf, am Sonntag, da rann das Testosteron aus dem Fernseher: Es gab Männersport und Männersport – und abends einen Mord, genauer deren viele: En bloc wurden gleich drei Filme mit Tom Cruise gezeigt.

Leutschenbach jedoch ist für mich vorerst sowieso erledigt, denn ich habe mit meinem Sohn eine Wette abgeschlossen: Bis ich den Rubik’s Cube-Zauberwürfel in unter einer Stunde und ohne Anleitung schaffe, schaue ich kein TV mehr! Und es gibt auch kein Instagram mehr! Und keinen Alkohol und keine Zigaretten. Letzteres ist für mich als Nichtraucher das kleinste Problem, aber man braucht ja auch die, um Massstäbe herzustellen, denn die grossen und die kleinen Dinge, sie gehören zusammen; so wie anderes auch, die gelösten und die ungelösten Seiten des Zauberwürfels beispielsweise oder Mann und Frau.

Es grüsst, sich etwas verwundert am Barte kratzend: Max

PS Musikvideo zum Thema inkl. Autos UND Frauen (und sogar noch Pferde): «Bad Girls» von M.I.A., 2012, Regie: Romain Gavras.