LIEBE FDP DES KANTONS ZÜRICH
Ist es okay, wenn ich dich duze? Gut, also, es ist so: Einer meiner Vorgesetzten meinte kürzlich, ich solle doch einmal über etwas von Gewichtigkeit schreiben, nämlich über «Politik». «Politik», rief ich aus, «eine grossartige Idee! Wollte ich schon immer mal drüber schreiben. Ich liebe Politik!» Sogleich machte ich mir Gedanken. Politik? Wer oder was war das gleich schon wieder? War Politik ein polnischer Fussballprofi? Der Name eines dieser zurzeit so angesagten ungarischen Gerichte, so wie Pörkölt oder Fozelék? Oder war Politik etwas Unanständiges? Sosehr ich auch nachdachte, es wollte mir nicht einfallen.
Am nächsten Morgen brachte ich meinen kleinen Jungen zur Schule, wie immer kamen wir auf unserem Weg an einer Litfasssäule vorbei. Sie ist gepflastert mit Plakaten mit grinsenden Menschen darauf. «Ist das Werbung für ein Horrorclown-Musical?», wollte mein Sohn wissen. «Nein», sagte ich mit väterlichem Timbre, «das sind Plakate von...» Und da fiel mir alles wieder ein: Politiker! Politik! Das wars!
Die Plakate hängen nicht zufällig in der Stadt. Die Regierungsratswahlen stehen an. Ich freue mich über die Wahlplakate, denn sie bieten überlebensgrosse Gesichter, die strahlend lachen und ihre Gebisse zeigen wie Protagonisten auf den Vorher-Bildern von Zahnarztpraxen-Broschüren aus Budapest. Sie lächeln so sympathisch, man hört noch das «Cheeeeese!» des Fotografen. Es sind Gesichter, die gerne noch fröhlicher gemacht werden: Verziert mit Schnäuzen, Piratenaugenklappen und auch mal einem Wurm, der lachend aus einem Nasenloch lugt samt Sprechblase («Hi Freaks!»). Auf einem dieser Plakate an der Litfasssäule prangte jedoch kein Kopf, sondern bloss eine Parole: «Wir machen Zürich. Machen Sie mit.»
Dies ist dein Plakat, liebe FDP. Lange studierte ich die Zeilen. «Wir machen Zürich. Machen Sie mit.» Ich dachte: Klingt das nun selbstbewusst, verblendet oder verzweifelt? In der Konsequenz hiesse dies, dass nicht mitmachen darf, wer nicht bei der FDP ist, oder? Was wiederum bedeutete, die FDP wäre die alleinherrschende Partei, oder?
Parolen, Slogans, Sprüche: schwieriges Geschäft. Ich mag mich an ein Plakat von Christoph Mörgeli erinnern, als er für den Nationalrat kandidierte. Da stand: «Unabhängig. Unerschrocken. Unermüdlich.» Das klang natürlich mehr nach einem Kinomix aus Justizdrama, Actionstreifen und Pornofilm denn nach Politik. Eben: schwierig. Und ich weiss, wovon ich rede. Als Teenager liess ich mich als Kandidat für die Gemeinderatswahlen in meinem Heimatdorf Maisprach BL aufstellen. Es gab keine Parteien, bloss Einzelmenschen mit Einzelinteressen. Zugezogene überredeten mich. Sie wollten die Alteingesessenen ärgern. «Aber ich kann doch nichts, weiss nichts!», sagte ich. «Hervorragend», sagten sie, «beste Voraussetzungen!» Wir druckten Flugblätter. Darauf stand: «Der Jugend eine Chance!» Denn es muss ja etwas auf diesen Flugblättern stehen. Egal was. Hauptsache, man konnte es fett drucken. Damals dachte ich tatsächlich, die Politik könnte etwas für mich sein, weil mir die freiwillige Feuerwehr physisch zu anstrengend war. Ich wurde dann aber nicht gewählt. Es fehlten 41 Stimmen. Ich denke, ich bin damals noch einmal knapp davongekommen.
Nun, um mich weiter über deinen kryptischen Slogan zu informieren, studierte ich dein Programm im Internet und sah, dass du nicht nur Zürich in toto machst, sondern ganz vieles: Wirtschaft, Wohnen, Wohlstand und so weiter. Sogar Umwelt machst du neuerdings, so las ich, bist so eine Art Greta Thunberg im blauen Deuxpièces und mit Foulard? Ich hab mir deine Umweltschwerpunkte angesehen. Einer lautet: «Die Verschmutzung des Bodens soll gemäss heutigen Gesetzen verhindert werden.» Okay. Find ich gut, dass man die heutigen Gesetze nicht abschaffen und den Boden total verschmutzen will. Kann ich unterschreiben.
Im Grunde versprichst du, ALLES zu machen. Wäre dann nicht «Wir machen ALLES» der konsequente Slogan? «Wir machen ALLES! Immer! Überall!» Oder halt, eine Idee hab ich noch! Wenn denn wirklich das unschöne und nicht sonderlich originelle Wort «machen» vorkommen muss: «Wir machen uns Mühe – und haben sie auch!» Das wärs, oder?
Fragt sich fragend: Max Küng
PS Song zum Thema: «Parole Parole» von Mina und Alberto Lupo, 1972.