IMMER DIESE SKIRENNEN
Skirennen sind ökologisch problematisch und extrem gefährlich – auch für die Zuschauer. Wieso tun wir uns das trotzdem an?
Die Schreie gingen durch Mark und Bein, ich musste den Fernseher erst stumm-, dann abstellen. Nach einer Weile schaltete ich wieder ein. Das Skirennen in Cortina d’Ampezzo war noch immer unterbrochen, die Fahrerin lag im Schnee wie zuvor, und ich fragte mich, weshalb wir uns überhaupt Skirennen anschauen. Ist es Tradition? Patriotismus? Nostalgie? Zur Schulzeit gab es mittags immer Skirennen und dazu die Ermahnung der Mutter, nicht fernzusehen und gleichzeitig zu essen, zu gross war ihre aus Fürsorglichkeit geborene Angst, das Kind könne sich versehentlich mit der Gabel ein Auge ausstechen, während es Heini Hemmi dabei zusah, wie er seine Latten geschickt durch den Stangenwald lenkte.
Nebst den gefährlichen gibt es auch versöhnliche TV-Momente, wenn etwa die Fernsehmoderatoren die Fahrt live analysieren. «Oh, das sieht schnell aus, superschnell!», rufen sie euphorisch, dann kommt der Fahrer zur Zwischenzeit: eine Sekunde Rückstand. Oder sie sagen lustvoll dunkel: «Ah, dieser Fehler hat Zeit gekostet!», dann kommt die Fahrerin zur Zwischenzeit: eine Sekunde Vorsprung. Das lehrt einen immer wieder: Wir alle sind Banausen – vor allem aber die Experten.
Und es gibt die humorvollen Momente, wenn die Werbung kommt, was nicht selten der Fall ist. Insbesondere heiter ist der Spot für ein Energieunternehmen, welches sich als «Nachhaltigkeitspartner» von Swiss-Ski anpreist. Ein Energieunternehmen, dem ein Drittel eines Kohlekraftwerks in Deutschland gehört und dessen Strommix ein Drittel mehr Atomstrom aufweist als der Durchschnitt aller nationalen Anbieter. Das ist in etwa so, wie wenn ein Pommes-Chips-Hersteller an der Primarschule zur Aufklärung über gesunde Ernährung aufgeboten würde.
Schneesport und Klimaschutz unter ein Iglu zu bringen ist sehr, sehr abenteuerlich. Nachhaltig sind dabei ja vor allem die Narben in der Natur. Doch bisher haben Klimaaktivisten die Skipisten eher gemieden, was vielleicht damit zusammenhängt, dass sie selber gerne snöben – oder aber es sich auf dem Schnee schlecht kleben lässt. Und so manche und mancher gibt sich diesbezüglich gerne etwas schneeblind, ist sich der Perversion des Skisports allerdings bewusst: dass man die Natur geniesst und zelebriert, indem man sie sich winters mit Pistenbau und Schneekanonen gefügig macht. Doch wie sagte ein ökologisch aufgeweckter Freund kürzlich dazu schulterzuckend: «Aber es ist halt einfach so schön!»
Dabei haben manche der Skistars längst erkannt, dass der Klimawandel Wirklichkeit ist. Der so sympathische wie geniale Rennläufer Marco Odermatt meinte in einem Interview: «Fakt ist: Wir Skifahrer sind direkt vom Klimawandel betroffen, es wird für uns immer schwieriger, im Sommer auf den Gletschern ein ordentliches Schneetraining zu absolvieren.» Deshalb flog man letzten August auch nach Feuerland, um zu trainieren, denn in Argentinien drüben scheint der Klimawandel mit weniger schnell gewachsten Skiern unterwegs zu sein. Dort produziert Frau Holle noch in Hülle und Fülle.
In Cortina d’Ampezzo kam dann endlich der Helikopter. Die verunfallte Fahrerin wurde ins Spital geflogen. Die Nächste stürzte sich die Piste hinunter. Und die Frage blieb: Weshalb schaue ich Skirennen? Hat es damit zu tun, dass um diese Zeit sonst nichts in der Kiste läuft? Ist der Grund also schlicht Langeweile? Das wäre ein bisschen traurig, ist aber wohl leider wahr.