ICH WAR NOCH NIEMALS IN Yens VD
Soldaten. Zu Fuss. Schwer beladen. Rotgesichtig wie gekochte Hummer, schweissgebadet unterwegs im Wald. Soldatensichtungen verwundern in dieser Gegend nicht, denn der Waffenplatz von Bière liegt gleich hinter dem Forst. Doch mein Interesse gilt nicht dem Zug junger Wehrmänner, sondern dem Wald, genauer einem didaktischen Lehrpfad mit dem schönen Namen «Sentier des Fumas», der zur Gemeinde von Yens gehört, deren Einwohner man «Fumas» nennt, des Rauches wegen, der vor Hunderten von Jahren aus den Schornsteinen ihrer Häuser quoll, als sie nach Missernten im Wald gesammelte Eicheln brieten, um nicht zu verhungern.
Wie ich dorthin kam, in diesen Wald, auf diesen Pfad? Nun, Tage zuvor kaufte ich in der Migros eine Packung Baby-Chicorée. Ich liebe dieses Junggemüse. Baby-Chicorée ist so etwas wie das Kalbfleisch der Vegetarier: unglaublich zart; und nicht ganz billig.
Im Supermarkt stutzte ich erst ein wenig, als ich die Packung studierte, legte die Stirn in Falten wie ein chinesischer Shar Pei-Hund. Es war doch etwas verrückt, dachte ich, diesen Baby-Chicorée aus Japan zu importieren. Denn auf dem Preisschild stand «1169 Yens». Und der Yen ist die Währung in Japan – ich weiss das, hab auch schon Kreuzworträtsel gelöst. Man ist sich zwar schon allerhand gewöhnt, Avocados aus Acapulco, Erdbeeren aus Äquatorialguinea. Und jetzt Chicorée aus dem Land des Lächelns? Crazy für meine Ökobilanz… Doch Greta war nicht zugegen, also schnell damit in den Einkaufswagen.
Daheim merkte ich: «1169» steht nicht für einen saftigen Geldbetrag in Fremdwährung, sondern für die Postleitzahl einer Ortschaft – Yens eben. Dieser Chicorée hatte keine böse Flugreise hinter sich, sondern seine Wurzeln im Waadtland, kommt von einem Bauerngut mit einem Namen wie jener eines Films von David Hamilton: «Domaine des Loveresses».
Auch die Nachbardörfer von Yens besitzen klingende Namen, die auf Deutsch etwa «Küsschen-Weisswein» heissen («Bussy-Chardonney»), oder sie gehören zur Genitiv-Fraktion und bezeichnen Computer aus Cupertino oder rundliche Packen («Apples» und «Ballens»).
In Yens leben 1429 Menschen. Was sie alle gemein haben: Den prächtigen Blick auf den 200 Höhenmeter unter dem Dorf sich ausbreitenden Lac Léman und die gegenüberliegenden Berge. Auch mein Chicorée hatte in seinem kurzen Leben diesen Blick geniessen dürfen.
Zum Ausgangspunkt des «Sentier des Fumas» ist es vom Dorfzentrum Yens’ ein schönes Stück. Vorbei am Friedhof und durch die Reben geht es, den Rücken dem See zugewandt, entlang vieler, vieler Felder und Bauernhöfe (die Landwirtschaft nimmt mehr als die Hälfte der Gemeindefläche ein), hinab in Senken und längs eines gurgelnden Bachs, so kommt man in den Wald.
Der Wald von Yens ist nicht riesig, aber teils wunderbar sumpfig und gross genug, dass man sich verirren kann. Denn zehn Minuten nach dem Erstkontakt mit den obgenannten Soldaten kamen diese wieder anmarschiert, in entgegengesetzter Richtung und mit der Ausstrahlung einer frisch von Asterix und Obelix verprügelten Römertruppe, stumm fluchend, noch rotgesichtiger als zuvor. Sie hatten sich wohl verlaufen – was für einen Soldaten ja nicht das Dümmste ist, was er machen kann. Oder haben sie die Waldbewohner mit Covid-Impfstoff beliefert? Könnte sein, denn das ist ja Aufgabe, mit der die Armee betraut worden ist: Lagerung und Distribution der Vakzine (LaDiVa). Und es stellt sich mir die bange Frage: War dies eine gute Idee? Hätte das nicht besser die Migros übernommen, so wie die Verteilung des Baby-Chicorée? Die didaktische Lehrtafel N°8 am Holzweg wusste darauf keine Antwort.
Rückkehrsehnsuchtsfaktor Hoch! Mit Velo auf den Col du Marchairuz. Oder in die Auberge de la Croix d’Or (15 Gault Millau-Hauben), Chef Olivier Hiernard war Schüler von Georges Wenger in Le Noirmont
Bäckerei vorhanden? Wird gerade umgebaut. In der Épicerie de la Fontaine an der Rue du Carroz 11 bekommt man jedoch supergute und frisch eingeklemmte Eingeklemmte
Wein? Naturellement! Die Kellerei Coeytaux an der Rue du Château 4 ist samstags vormittags geöffnet