• Dezember 2021

ICH WAR NOCH NIEMALS IN Rotzloch NW

Wie die Nase eines liegenden Riesen ragt der Berg in die Landschaft, zur einen Seite der gebogene Rücken, sanft gewölbt, auf der anderen Seite eine schroffe, senkrecht abfallende Wand mit Löchern darin, darunter wie ein offenstehender Mund der Alpnachersee, einer der Blinddärme des vielfingrigen Vierwaldstättersees. Es passt noch mehr zur Nasenanalogie dieses Bergs, denn seit vielen Jahren schon bohrt man in ihm herum, holt popelgleich Gesteinsbrocken aus seinen Höhlen heraus. Zudem ist da sein Name: Rotzberg.

Am nordwestlichen Fuss des Rotzbergs liegt Rotzloch, ein teils zu Stansstad, teils zu Ennetmoos gehörender Uferfleck mit Bootsanlegestelle, seit dem 19. Jahrhundert ein Industriegebiet, in dem die Steine kleingeklopft werden, die man aus dem Berg holt, damit man sie in der ganzen Schweiz verteilen kann, etwa als Schotter zwischen den Bahngleisen. In Rotzloch ansässig ist auch die Firma Creabeton («Beton ist unsere Welt, Erfolg ist unser Ansporn»), welche in einer öffentlich zugänglichen Anlage namens «Rozpark» den Baustoff Beton in seiner ganzen Kreativität und einer eindrücklichen Vielgestalt von Produkten präsentiert, denen man auch in gepflegten Gärten und auf Plätzen in allen Winkeln unseres Landes immer wieder über den Weg läuft, etwa den Pflanzengefässen der Serie ROZIT, den Gehwegplatten der Reihe ROZFORTE oder der SANTURO Kräuterschnecke «Yourself».

Wendet man der lärmigen Industrie und dem stillen See den Rücken zu, blicktman in eine Schlucht, welche – logischerweise – Rotzschlucht heisst. Der Melbach hat sie geduldig in den Stein gefressen. Ein Fussweg führt durch sie hindurch, vorbei an lauschigen Wasserfällen, durch beleuchtete Tunnel, jäh und furchteinflössend ragt der Stein zu beiden Seiten in die Höhe, mahnend raten Warnschilder die Wandernden, bitte nicht zu verweilen (Steinschlaggefahr). Man passiert auch den Eingang zu einem ebenfalls «Rotzloch» genannten Stollen, in dem während des Zweiten Weltkriegs Kunstschätze sicher zwischengelagert wurden (etwa die Sammlung Oskar Reinhart mit dem der Rotzschlucht nicht unähnlichen Sujet «Kreidefelsen auf Rügen» von Caspar David Friedrich, 1818, Öl auf Leinwand, 90,5 x 71cm). Nach dem Krieg folgte auf die Kunst der Käse: Die immerkühle Kaverne (12 bis 14 Grad) wurde zur Käsereifung genutzt. Heute werden im Berg Bio-Edelpilze gezüchtet, beispielsweise Gelber Pleurotus oder Shiitake.

Am oberen Ende der Schlucht gelangt man zur Ortschaft Ennetmoos (2254 Einwohner), wo drei steinerne Kreuze an die Pest erinnern, die Ortsteile Namen tragen wie Ödwil und der Überfallschützenverband zum jährlichen Überfallschiessen einlädt (in Erinnerung an den Franzosenüberfall von 1798, heuer abgesagt wegen Corona). Von Ennetmoos aus ist der Rotzberg lieblich anzusehen. Mehr harmloser Hügel denn böser Berg, die Kuppe ähnlich spärlich bewaldet, wie der Schädel von Paolo Gucci behaart war, winters sicher perfekt zum Schlitteln. Und mit seinen 672 Metern ist der Rotzberg ja auch ein Knirps, verglichen etwa mit dem grössten Macker im Kanton, dem Rotstöckli (2901 m ü. M.). Doch Berg ist Berg: Wenn ein Mensch ihn erblickt, muss er ihn besteigen, denn so ist der Mensch, er kann nicht anders. Also los! Doch schon nach wenigen Höhenmetern muss ich kapitulieren. Einsetzender Schneeregen hat den gächen und sich über die kahle Wiese windenden Trampelpfad in eine glitschige Schlammspur verwandelt. An ein Vorankommen ist nicht zu denken. Hier sollte man mal ein paar ROZFORTE-Gehwegplatten oder GRISON-Rasengittersteine verlegen, denke ich, während ich den Rückzug antrete, den schleimigen Rotzberg hinunterschlittere, auf das Hinterteil falle, fluchend, schlammverschmiert und auch voller Scham darob, an einem solch mickrigen Hügel gescheitert zu sein! So harmlos anzusehen, doch unbezwingbar. Ist es nicht oft so: Die Kleinsten sind die Gemeinsten?

PS: Weshalb der Name Rotzloch? Nun, es ist kompliziert und lange her. Mit dem auch Schnodder genannten Nasensekret hat weder Berg, Loch noch Schlucht etwas zu tun. Flurnamenforscher vermuten als Ursprung das galloromanische Wort «rocca» (Fels), welches von Innerschweizer Mäulern über die Jahrhunderte zu «Rotz» zerkaut worden ist.