• Februar 2021

ICH WAR NOCH NIEMALS IN Rikon ZH

Als der Dalai Lama in einem «Playboy»-Interview (Ausgabe 03/​98) gefragt wurde, ob man ihn als erklärten Asketen vielleicht mit einem guten Essen «aus der Reserve» locken könne, verneinte er. Er esse eigentlich immer das Gleiche. Nämlich Hafer­schleim. Tag für Tag. Aber selbst für ein so frugales Gericht wie Hafer­schleim benötigt der Mensch Gerät­schaft, um es zuzube­reiten. Eine Pfanne. Und exakt einer Pfanne wegen fuhr ich nach Rikon im Tösstal. Denn von dort kommen sie, das weiss ich seit meiner Kindheit, als das Werbe-Mantra hiess: «Pfanne drehen, Kuhn Rikon sehen».

Aber ich wollte keinen Hafer­schleimtopf, sondern eine schwere Pfanne, um darin Steaks zu braten, und zwar eine aus Eisen. Ohne Pfannen gibt es kein warmes Essen. Ohne warmes Essen keine gute Laune. Und noch mehr schlechte Laune kann derzeit niemand gebrauchen. Deshalb darf der Fabrikladen der Pfannen­her­stellerin Kuhn Rikon noch geöffnet sein*.

Schnell hatte ich mich vor Ort entschieden, für die Eisen­pfanne mit dem etwas Science-Fiction-mässigen Namen «Black Star» (28 cm Durch­messer, 22% Rabatt, 139,60 Franken). Zu Hause müsse ich die Pfanne dann mit Kartof­fel­schalen, Salz und Öl einbrennen, sagte mir die Verkäuferin. Eine etwas archaische und vor allem rauchige Sache, wie sich heraus­stellen sollte, aber auch eine, die sich lohnt. Die «Black Star» ist meine erste echte Eisen­pfanne – ich möchte ihre Qualität für scharfes Anbraten nicht mehr missen. 51 Jahre alt musste ich werden, bis mich die diesbe­zügliche Küchen­weisheit erreichte und die Kochherd-Erleuchtung überkam.

Kuhn Rikon ist noch immer ein Famili­en­betrieb. Bald wird er hundert Jahre alt. In zweiter Generation leiteten zwei findige Brüder die Firma: Henri und Jacques Kuhn – und die beiden produ­zierten nicht nur Kochge­schirr am Fliessband und erfanden den «Duromatic»-Kochtopf, der zum inter­na­tionalen Millio­nen­seller wurde. Ihr Engagement ging auch über die Fabrik­mauern hinaus. Als in den 1960er-Jahren die Schweiz als erstes europäisches Land beschloss, Flüchtlinge aus Tibet aufzu­nehmen, da halfen die Gebrüder Kuhn mit Wohnraum und Arbeit. Und um den Geflüchteten etwas Halt in ihrem Alltag zu geben, wurde in einem Waldstück ob dem Tobelhof das Tibet-Institut** errichtet: das erste tibetisch-buddhis­tische Kloster ausserhalb Asiens. Doch bei aller Liebe zu Tibet: Die Billiglinie von Kuhn Rikon wird mittlerweile auch in China gefertigt.

Der 2016 im Alter von 97 Jahren verstorbene Jacques Kuhn war nicht nur Ingenieur und Unter­nehmer, er schrieb mit seiner Partnerin Roswitha unter dem Namen KuhnKuhn auch eine Reihe von Tösstal­krimis*** – und er hatte als Patron alter Schule ein Motto, das sich so manche Chefs heutiger Betriebe auf die Stirn tätowieren lassen sollten, damit es ihnen wieder einfällt, wenn sie von der Excel-Tabelle aufund in den Spiegel blicken: «Wer gut führen will, muss Menschen mögen.»

Und noch etwas gibt es in Rikon, wenigstens zu einer bestimmten Zeit: Erdbeeren. Noch tragen die roten Verkaufs­häuschen am Rande des grossen Feldes der Züchter­familie Vetsch einen Hut aus Schnee. Unwei­gerlich kommt einem bei diesem Anblick das Ende von Paul Zechs Gedicht in den Sinn: «Wär nur der Winter erst vorbei und wieder grün der Wiesengrund!... ich bin so wild nach deinem Erdbeermund!» In diesen Zeiten ist vieles nicht sicher. Doch hoffen wir: Ende Mai sollten die Früchte auf dem Feld gleich hinter der Pfannen­fabrik wieder rot leuchten und erntebe­reitsein. Auch zum Selber­pflücken. Wer weiss, ob nicht auch Seine Heiligkeit auf einem ihrer vielen Kloster­besuche schon die eine oder andere süsse Frucht vom Stängel zupfte, um den Hafer­schleim aufzu­peppen.

Erdbeeren, Eisen­pfannen und Erleuchtung: Das ist Rikon im Tösstal (1691 Einwohner).

Rückkehr­sehn­suchts­faktor Hoch! Die Tösstal-Hügel scheinen rennve­lo­technisch ziemlich befah­renswert

* Stand: 26. Januar 2021

** www.tibet-institut.ch

*** Vier Krimis, in denen Dorfpo­lizist Noldi Oberholzer Fälle zu lösen hat, erschienen im Gmeiner-Verlag