• Oktober 2020

ICH WAR NOCH NIEMALS IN Luxeuil-les-Bains

Lieber Klumpen

Ich grüsse dich aus den Ferien, die ich in Frankreich verbringe, genauer: in der Franche-Comté. Noch präziser sitze ich gerade in einem Café an der Place Saint-Pierre in Luxeuil-les-Bains. Das Café ist derart, dass jeden Moment Jean Gabin mit Hut und Regenmantel als Commissaire Maigret zur Türe hereinspazieren könnte – oder Louis de Funès auf der Jagd nach Fantômas.

Das Städtchen jedoch ist nicht so luxuriös, wie der Name es verspricht, und was ich sagen kann: Es ist wohl definitiv einfacher, jetzt im Herbst hier in Luxeuil einen Parkplatz zu finden als im Sommer in Saint-Tropez. Ausserdem regnet es gerade ficelles, und es sind so viele Menschen in den Strassen unterwegs wie nach einem Neutronenbombenniedergang. Mir aber gefällt das. Der Herbst, der Regen, das leere Café und ich, wir passen gut zusammen.

Wie der Name es andeutet: Es gibt heisse Quellen, in denen gebadet wird, seit der Römerzeit schon. Auch Columban wird das eine oder andere Mal sein heiliges Gemächt ins heisse Wasser getaucht haben. Du kennst Columban, oder? Der Wandermönch machte hier im 6. Jahrhundert auf seiner «Mission»-Europatournee Station und gründete ein Kloster. Er war mit seiner zwölfköpfigen irischen Boygroup unterwegs. Dazu gehörte auch ein gewisser Gallus. Später zogen sie weiter, kamen auf ihrem Weg nach Italien auch in St. Gallen vorbei, das damals noch nicht so hiess, weil es noch gar nicht existierte. Erst als dieser Gallus dort aus der Tournee ausstieg und einen Bären hypnotisierte, nahm alles seinen Lauf. Ohne Gallus gäbe es heute weder den FC St. Gallen noch den Schüblig.

Nebst Gallus verbindet Luxeuil noch mehr mit der Schweiz: Im südlichen Vorort Saint-Sauveur ist das 2. Jagdgeschwader der Armée de l’Air stationiert, welches sich Cigognes nennt, die Störche. Ziemlich laute Störche! Noch sind diese Störche mit Mirage-2000-5F-Kampfjets ausgerüstet, doch Verteidigungsministerin Florence Parly hat angekündigt, dass diese durch den Rafale F4 ersetzt würden. Das sind die gleichen Jets, die auch die Schweiz anschaffen will, vielleicht, eventuell, on verra. Und da dachte ich mir: Luxeuil ist bloss 89 Düsenjägersekunden von der Schweizer Grenze entfernt. Eigentlich könnten die französischen Störche den Job unserer altersschwachen Mühlen übernehmen. Mit den gesparten Milliarden liesse sich sicher etwas Cooles anstellen.

Noch länger als die Kampfjetbasis im Süden existiert im Zentrum an der Rue Carnot eine andere Institution: die Boucherie Giromagny. Dort wird das Prinzip nose to tail seit 1892 praktiziert. Dementsprechend sind die Kühlvitrinen gefüllt mit Schnauzen, Schwänzchen und den sich zwischen diesen Dingen befindenden Teilen (Kutteln, Herzen, Hirn).

Die Spezialität allerdings ist ein Schinken, der einen eigenen Wikipedia-Eintrag besitzt: der Jambon de Luxeuil. Er wird nach strengen Regeln produziert und vor dem Räuchern in Wein aus der Appellation Arbois eingelegt. Optisch sind die Keulen einem Parmaschinken nicht unähnlich, doch werden sie dicker aufgeschnitten und gerne zu einem Raclette aus Comté-Käse serviert, sommers harmonisiert der Jambon formidabel mit süsser Melone. Das hat mir die Frau in der Metzgerei erzählt.

Wie er wirklich schmeckt, weiss ich noch nicht. Ich hab aber dreihundert Gramm davon in einer Tüte, die zu meinen Füssen wartet, bis wir uns auf den Heimweg machen. Doch erst sitze ich noch etwas in dem kleinen Café und schaue aus dem Fenster, vor dem nichts passiert. Das aber sehr intensiv.

A bientôt, Max

1 Kilo Jambon du Luxeuil: 45 Euro

25-Kilo-Sack Kartoffeln (ungewaschen) im Hyper-Casino-Supermarkt: 3.75 Euro

Bauland pro Quadratmeter (erschlossen): 9 Euro

1 Rafale-Kampfjet: 249’000’000 Euro

Fünf Äbte des Klosters Luxeuil mit schönen Namen: Drogo, Rusticus, Ratto, Gaylembus, Docto

Song zum Thema: «Chanson d’automne» von Charles Trenet, 1939, nach einem Gedicht von Paul Verlaine, 1866