• September 2021

ICH WAR NOCH NIEMALS in einem Literaturkreis

Wie auch immer man sagen mag – Buchklub, Lesezirkel, Literaturkreis: Bis anhin verengten sich meine Augenbrauen, wenn jemand meinte, sie oder er gehöre einer solchen «Institution» an. Menschen, die in ihrer Freizeit alle dasselbe Buch lesen und dann zusammenkommen und bei Knabbergebäck und einem Glas Pinot grigio darüber quasseln? Ich stellte es mir langweilig vor.

Aber ich sagte nicht Nein, als einer dieser privaten Buchklubs mich einlud; und wie so oft kommt ein Ding selten allein: Tags darauf sollte eine zweite Einladung folgen.

Der Vorteil dieser Einladungen: Ich musste gar kein Buch lesen, denn sie wollten über jenes reden, welches ich geschrieben hatte. Das kam mir entgegen, denn zurzeit bin ich gerade etwas lesefaul. Die Realität ist nämlich die: Nach dem Zubettgehen greife ich das Buch von meinem Nachttisch und lese darin, aber nach einer halben Seite fallen mir die Augen zu, und im Schlaf bin ich mir jeweils nicht sicher, ob ich das Buch überhaupt richtig herum gehalten hatte. Ich würde gerne mehr lesen, nehme es mir auch immer wieder vor, doch irgendwie vergesse ich es dann wieder und spiele doch lieber noch eine Partie Carcassonne auf dem Handy.

Also sagte ich zu, auch wenn die Vorstellung durchaus seltsam war: fremden Menschen dabei zuhören, wie sie über etwas sprechen, an dem man Jahre gearbeitet hat. Als ginge man zur eigenen Gerichtsverhandlung – gar zu seiner eigenen Metzgete.

Der eine Klub traf sich in einem schönen Garten hinter dem Bahnhof in Chur. Dieser Kreis wurde im Jahr 2012 gegründet und liest im Schnitt acht Bücher pro Jahr, im Oktober wird er zum 76. Mal zusammenkommen (um dann über den neuen Peter Stamm zu richten). Zum harten Kern gehören sieben Personen aus dem Umfeld der Fachhochschule Graubünden, meist kommen aber mehr.

Die Auseinandersetzung mit dem Stoff hatte professionelles Niveau, die Stimmung war entspannt, und es gab thematisch zum Buch passenden Wein, einen formidablen Franzosen (Bastide Miraflors). Vielleicht wäre dies auch ein Rezept, damit die Diskussionen über Literatur wieder etwas peppiger würden: Guter Wein zum Meinungsstreit.

Nun, am Abend darauf sass ich in einem Garten in Zürich-Nord (siehe Bild). Dieser Klub mit einem Namen, der nicht genannt werden darf (jede*r hat eben Geheimnisse), wurde 2019 gegründet (mit «Der Tunnel» von Ernesto Sábato) und schafft pro Jahr sechs Bücher.

Hier bringen alle drei Dinge mit: eine Meinung über das Gelesene, einen Wein und einen Vorschlag samt Plädoyer für ein nächstes Buch. Die Flasche, die ich erwischte, kam zwar nicht aus Frankreich, war aber ebenfalls formidabel (ein Pinot noir von Glesti aus Oberstammheim), schon allein deshalb hätte sich mein Besuch für mich gelohnt, aber es war darüber hinaus auch ziemlich interessant, als zumeist einsamer Autor mit Endkund*innen in Kontakt zu treten (Marktforschung); es entwickelten sich erkenntnisreiche Debatten. Sowohl der Abend in Chur wie jener in Zürich-Nord waren das, was man gelungene Abende nennt: Mit Menschen zu reden, ist eben doch eine gute Sache. Vor allem, wenn man weiss, worüber man mit ihnen reden soll.

Lesekreise und Buchklubs sind am Boomen, stand kürzlich in einem Fachmagazin der deutschen Buchbranche, man spricht in diesem Zusammenhang gar von einem signifikanten «Trend zur Zweitgruppe», denn ein Kreis genügt den Menschen offenbar nicht mehr. Für mich ist eine Erstgruppe aber genau das richtige Rezept, um in Zukunft mehr zu lesen. Dieser subtile Druck, an einem bestimmten Abend in Chur oder Zürich oder wo auch immer unter einem Baum zu sitzen und über das gelesene Buch zu sprechen (und eine Meinung darüber parat zu haben), hat seinen Reiz. Insbesondere wohl auch dann, wenn einem das Buch nicht gefallen hat, wenn es vielleicht sogar grottenschlecht ist und man einen auf Marcel Reich-Ranicki machen und keifend vom Leder ziehen kann.

Einfach ein paar Stunden weniger ins Handy zu glotzen und stattdessen die Nase in ein Buch zu stecken, sich über das Gelesene Gedanken zu machen – das ist das Ziel. Der Buchklub ist der Weg. Und ich habe Blut geleckt.