ICH WAR NOCH NIEMALS IN einem Bubble-Tea-Laden
Seit einer Weile sichtet man in meinem Quartier dann und wann eine Schlange. Nun ist es bei gewissen Schlangen anders als bei gewissen Affen: Menschenaffen sind Tiere, die man gerne in Zoos begafft, Menschenschlangen aber Phänomene, die unterschiedlichste Ursachen haben können – und die näher untersucht werden wollen. Denn wenn sich Menschen freiwillig in eine Schlange reihen, gibt es dafür wohl einen triftigen Grund.
Die Schlange in meinem Quartier ist an gewissen Tagen imposant, reicht bis ans Ende des Häuserblocks. Sie bildet sich vor dem Eingang eines Geschäfts, welches Jeeg heisst und japanische Comics (Mangas) und Zeichentrickfilme (Animes) anbietet. Dass in Zeiten des blühenden Internethandels es physische Ladenlokale schaffen, Menschen in solchen Massen anzuziehen, lässt einen für den Detailhandel hoffen – und man kann die Macher*innen von Jeeg nur bewundern, wohl mittels purer Fachkompetenz eine solch treue Gefolgschaft generiert zu haben.
Neuerdings bildet sich noch eine weitere Schlange, zwei Strassen weiter, vor einem Blumenladen. Es sind jedoch nicht Schnittblumen oder Gestecke, welche die Menschen wie nektargeile Bienen anlocken: Das Floristikfachgeschäft wurde unlängst halbseitig in einen Take-away verwandelt, der nichts anderes anbietet als ein Getränk namens Bubble Tea, welches aus Asien zu uns herübergeschwappt ist.
Bereits vor zehn Jahren gab es eine erste Welle, die bald jedoch wieder verebbte (auch Gerüchten über krebserregende Inhaltsstoffe wegen, welche sich als falsch herausstellen sollten). Bei der ersten Welle hatte ich noch verpasst herauszufinden, um was es sich bei Bubble Tea genauer handelt. Nun stellte ich mich hinten an die Warteschlange – und als ich dann an der Reihe war, sagte ich: «Äh…»
Bubble Tea ist nicht gleich Bubble Tea. Es gibt ihn warm oder kalt. Mit oder ohne Milch (und wenn mit, dann auch vegan). Auf Grün- oder Rosen- oder Schwarzteebasis. In dem Laden, in dem ich zum ersten Mal in meinem Leben stand, gibt es achtundzwanzig Standartsorten in zwei Grössen plus zwanzig Specials mit geheimnisvollen Namen wie Purple Reign; und dann gibt es da noch die sogenannten Toppings, die den Bubble Tea erst zu dem machen, was ihn ausmacht: Garnituren wie etwa Popping Bobas (Geleekügelchen, die mit aromatisiertem Zuckersirup gefüllt sind und im Mund zerplatzen) oder bissfeste Perlen aus Tapioka oder ziemlich abwegige Dinge wie Whipped Cheese Foam.
Angesichts dieser Kombinationsmöglichkeiten eine schnelle Entscheidung zu fällen, ist für einen Bubble-Tea-Novizen unmöglich. Doch ich stand unter Zugzwang: Aus der Warteschlange in meinem Rücken strömte das leise Gift der Ungeduld. Also wählte ich schnell einen Horizon Tea, denn ich wollte ja meinen Horizont erweitern. Als Topping giftgrüne Popping Bobas mit Apfelgeschmack.
Gierig zog ich das instagramabel bunte Getränk durch den fingerdicken Trinkhalm aus dem Plastikbecher, denn ich hatte tatsächlich Durst. Doch bald merkte ich, dass sich mir die Faszination für Bubble Tea nicht sogleich erschliessen würde. Vor allem die Bobas: als laiche einem ein Frosch in den Mund. Oder eine Aga-Kröte. Oder ein Riesenwels. Zudem stellt sich kein wirklich gutes Feeling ein, wenn man innert Sekunden 660 Milliliter eiskalten zucker- und farbstoffschwangeren Grüntee plus eine Handvoll synthetischen Apfel-Kaviar in den Magentrakt saugt. Sogleich gesellte sich zum seltsamen Völlegefühl auch eine Ahnung von Hirnfrost. Vielleicht bin ich auch einfach zu alt für Bubble Tea, zu konservativ und zu sehr anderen Getränken mit bubbles zugetan, etwa dem vegan und biodynamisch produzierten Leclerc Briant Brut Rosé aus Épernay in der Champagne.
Mein Bauchgefühl aber sollte sich nicht als gänzlich falsch herausstellen. Als ich ein wenig nachlas, fand ich heraus: Gesund ist der Bubble Tea nicht. Die Stiftung Warentest etwa kam bei Tests verschiedener Produkte zum Schluss: Kalorienbombe. Zucker- und Koffeingehalt sei auf Cola-Niveau. Zudem: Die in den allermeisten Fällen verwendeten Wegwerfkunststoffbecher und -trinkrohre helfen auch nicht gerade dabei, die Welt zu retten, sondern lassen Greta langsam den Kopf schütteln, strenger Gesichtsausdruck inklusive.