ICH WAR NOCH NIEMALS IM Polestar 2
Der schönste Ort meiner Kindheit war der Kofferraum unseres senfgelben Toyota Corolla Kombis. Dorthin verzog ich mich, wenn es während der Kirschenernte zu regnen begann, Donner grollte, Blitze zuckten. Im faradayschen Käfig des Kofferraums war ich sicher, las von der Kinderarbeit befreit Comics und lauschte dem Regen, der auf das Blechdach trommelte (ein Geräusch übrigens, welches jenem nicht unähnlich ist, das erklingt, wenn man auf der Computertastatur flüssig einen Text schreibt).
Deswegen mag ich auch heute noch Gewitter aller Art – und Autos. Auch wenn mein Verhältnis zu Pkws etwas schwierig geworden ist. Nebst den ökologischen und sozialen Problemen sind es auch ästhetische: Man kann die Karren nicht mehr unterscheiden. Und wenn sie doch auffallen, dann negativ (BMWs etwa mit ihrer Riesenhoden-Designattitüde). Meine Beziehung zum Auto ist daher ein Mix aus Pragmatismus und Nostalgie, auch wenn Letztere mehr und mehr erodiert. Vielleicht jedoch ändert sich dies wieder: dank den Elektroautos, etwa dem brandneuen Polestar, ein Produkt aus China mit schwedischen Genen (Volvo).
Was auffällt, von aussen: Er fällt auf. Passanten bleiben stehen, bekunden Interesse, zeigen Gefallen. Das hat mit seinem modernen Innenleben zu tun, aber auch mit seiner kompakten Erscheinung, denn: Immerhin mal keiner dieser grässlichen SUVs – das ist schon viel.
Was auffällt, von innen: So manches erinnert an Volvo, etwa die gut geschnittenen Sitze. Und das Fahren ist extrem angenehm, leise natürlich, und dank des Ein-Gang-Getriebes supergeschmeidig. Krass ist die Beschleunigung, wenigstens für einen E-Auto-Novizen: von null auf hundert in 4,7 Sekunden. Damit spurtet der doch so gemütlich anzusehende Polestar schneller als der Autoquartett-Supertrumpf meiner Kindheit, der Lamborghini Countach LP400S.
Besonders ist nebst der Hardware des Wagens auch die Software des Infotainmentsystems: Die wird von Google regiert, und so ziemlich alles kann über die Sprachsteuerung erledigt werden. Ein «Okay, Google!» genügt, und der digitale Diener (oder Herr?) ist zur Stelle. Das ist bequem, hat jedoch seine Tücken. So befahl ich freundlich, auf Spotify die Band Kappa Mountain zu spielen. Aber es kam dann die Copper Mountain Band – zwischen den verträumten Kappas aus Basel und den Country-Coppers aus Montana liegen doch ein paar geschmackliche Welten.
Noch eine Erfahrung: Ein Elektroauto ist nicht nur «gut» für die Umwelt, sondern auch für das Gehirn, denn immerzu ist man am Kopfrechnen und Überlegen. Wie lange reicht die Batteriefüllung noch? Wo kann ich wie schnell laden – und wenn ja, zu welchem Tarif? Ausserdem kommt man rum und landet an Orten, zu denen man niemals hinfahren würde, aber muss, weil es dort eine Lademöglichkeit gibt. An einer dieser Tankstellen drückte ich den Stecker in die Dose und holte mir einen Kaffee im Shop. Ein Tanklaster fuhr vor und versperrte meinem verkabelten Polestar den Weg. Er müsse frisches Benzin liefern, sagte der Chauffeur entschuldigend, in dessen Gefährt 35’000 Liter Kraftstoff waren. Es dauere fünfunddreissig Minuten, seinen Truck zu entleeren, meinte der Mann. Kein Problem, denn bis meiner mit Elektrosaft gestillt wäre, ginge es eh länger. Den Polestar betrachtend meinte der Chauffeur: «Das ist die Zukunft.» Es klang feststellend, aber auch fragend. Ich nickte. Ebenfalls feststellend und fragend zugleich.
Nach einer Testwoche brachte ich den Wagen zurück. Ich hätte ihn gerne behalten. Er fährt sich grossartig, sicher und souverän. Ein sympathischer Kerl, mit dem man gerne Zeit verbringt. Aber er hat ein kleines Manko: Der Kofferraum ist mit seinen 405 Litern für mich einfach nicht gross genug. Denn wo sollte man hin, wenn mal ein Gewitter aufkommt?
Anschaffungspreis: ab 56’900 Franken. 19-Zoll-Winterkompletträder gibts für 3800 Franken
Reichweite: 470 km gemäss Werk. 265 km gemäss eigener Erfahrung (Winterbetrieb, moderate Fahrweise)
Song zum Thema: «Electricity» von OMD, 1979. Alternativ: «Electric Car» von Adam Sandler, 2019