• März 2017

Liebe Hazel Brugger

also kurz Hazel, weil: Wir sind ja per du seit dem letzten Weihnachtsessen. Nochmals vielen Dank, dass du mich zu deiner Talkshow im Kleintheater Luzern eingeladen hast. Ich musste heute daran denken, denn heute war der erste Tag des Jahres, an dem ich wieder die Rennradmontur anzog, also in die enge Pelle schlüpfte, als würde ich als Cervelat an die Fasnacht gehen. In Luzern hast du gesagt, das erste Mal hättest du mich gesehen auf dem Cover dieses Magazins, auf einem Alpenpass stehend und in ebensolcher Rennradmontur. Du sagtest, du hättest dir damals bei diesem Anblick ernsthaft überlegt, lesbisch zu werden. Das war sehr lustig.

Auf dem Alpenpass stand ich im Sommer des Jahres 2003. Du warst damals zehn Jahre alt. Als ich das realisierte, da bekam ich echt einen Schock – nicht weil du damals so jung warst, sondern ich heute so alt bin. Man geht durchs Leben und fühlt sich, wie man sich fühlt: gar nicht mal so übel. Dann erblickt man sein Ebenbild in einem Schaufenster, in einem Spiegel, am Boden einer Chromstahlpfanne und denkt: «Was ist denn das für ein alter Knacker. Was will denn der von mir? Hau ab, Penner! Ich hab kein Geld für dich. Stutz dir mal die Haare! Zieh Leine!»


Dies zu akzeptieren, dass man alt wird, dieser unerbittlichen, bitter schmeckenden Unausweichlichkeit mit offenem Visier zu begegnen, das ist eine der grossen Leistungen, welche uns abverlangt wird. Eine Leistung, welche ich jedoch noch nicht habe erbringen können.


Es gibt auch alte Dinge, die ziemlich gut sind. Das spendet Trost und gibt Hoffnung. Letzte Woche fuhr ich spätnachts in meinem Opa-Skoda durch den dunklen Regen nach einer Lesung in Vaduz nach Hause. Ich war gut gelaunt, weil die Leute in Vaduz alle sehr nett zu sein scheinen (also jene wenigstens, welche ins Schlösslekeller-Theater gekommen waren), zudem hatte ich die Gage bar in der Tasche – und mir war nach Musik. Ich mag Musik, deshalb stelle ich eigentlich nie das Radio an, denn die Musik, welche im Radio gespielt wird, sie ist meist furchtbar. Es lief «Sounds» auf DRS 3. Und sofort war ich wieder 16 Jahre alt. Damals hockte ich nachts immer im Zimmer vor meiner Stereoanlage und hörte «Sounds». Ich erinnere mich, wie ich das erste Mal «Johnny The Moondog Is Dead» von den Cleaners From Venus gehört hatte oder «Death Of The European» von The Three Johns und all die Songs, welche mein Leben prägten, als ich noch jung war und nicht wusste, dass ich dereinst alt sein würde.


Und so fuhr ich durch die Nacht, die Tunnel und den Regen und hörte die «Sounds»-Platte der Woche, von einer Band namens Sacred Paws, merkte mir den Namen und den Vorsatz, sie gleich tags darauf zu kaufen. «Sounds» ist Nostalgie und eine nach naher Zukunft riechende Gegenwart zugleich. Und eine Sendung, bei der man immer etwas lernen kann. Sogar als alter Typ. Oder: gerade als alter Typ. Dafür muss ich mich bei der «Sounds»-Redaktion unbedingt mal schriftlich bedanken. Also, liebe Hazel, wenn ich dir noch einen Ratschlag geben darf, einen Ratschlag von einem alten Mann, der dein Vater sein könnte, in manchen Kulturen gar dein Grossvater: Bleib, wie du bist. Und hör «Sounds» auf DRS 3.
So, jetzt aber muss ich los, mich wieder in die enge Rennvelomontur zwängen, ächzend, stöhnend, als zöge ich die Haut meiner Jugend an, als schlüpfte ich in eine andere Zeit. Um dann über die Hügel zu fahren und die Berge mit ihren vor Alter krummen Rücken.


Grüsse aus Lycra: Max


PS: Song zum Thema: «Old And In The Way» von der feministischen Countrysängerin Hazel Dickens. Hazel Dickens: Was für ein Name, oder? Auch einen anderen Song möchte ich erwähnen: «Help The Aged» von Pulp, der mit diesen schönen Worten beginnt: «Help the aged / One time they were just like you, drinking, smoking cigs and sniffing glue.»


PPS: Am 7. März hat der Rallyefahrer Walter Röhrl Geburtstag, er wird 70. Am 8. März ist der Internationale Frauentag. Am 9. März hab ich Geburtstag. Am 10. März kommt der Kater. Am 11. März der Katzenjammer. Und so weiter. Die Zeit, sie naht, sie jagt, sie nagt. Es geht Schlag auf Schlag.