HAPPY BIRTHDAY
Der Erste, der mir zum Geburtstag gratulierte, war kurz nach Mitternacht ein genossenschaftlich organisierter Detailhändler, per Mail. Und er hatte nicht nur liebe Worte, sondern auch ein Geschenk: einen Gutschein für 10 Prozent Rabatt auf einen nächsten Online-Einkauf, vorausgesetzt, dieser übersteigt 200 Franken. Ich war gerührt.
Dann meldete sich der nächste Gratulant: ein im französischen Issy-les-Moulineaux ansässiger Hersteller von WLAN-fähigen Digitalkörperwaagen; erst dachte ich, er schenke mir 30 Kilo bei der nächsten Messung, aber es waren dann doch bloss 30 Euro auf einen zukünftigen Einkauf. Immerhin! Kurz darauf ein weiterer elektronischer Brief eines Onlinehändlers namens Pearl. Sein Geschenk: ein «verstellbarer Universal-Smartphone- und Tablet-Ständer» im Wert von 19.95 Franken. Die Rührung war nun vollends: So etwas hatte ich mir schon immer gewünscht – und zwar, ohne dass ich mir dessen bewusst gewesen war. Ich fragte mich, wie ich bis dahin hatte ständerlos glücklich sein können!? Zufrieden schlief ich ein, und am Morgen stand ein Geburtstagskuchen mit brennenden Kerzen auf dem Tisch, der sich vor lauter Geschenken bog, als mache er Yoga (Übung «himmelblickende Kuh»). Ich grinste wie eine Banane, denn ich liebe Geschenke – was mich jedoch immer auch sogleich etwas beschämt, denn es zeigt mir, dass ich wohl ein einfach gestricktes, materialistisches Wesen in einer materialistischen Welt bin. Ich weiss, andere sind da viel weiter.
Erst unlängst bekam ich eine Einladung zu einer Geburtstagsparty mit der ausdrücklichen Bitte, keine Geschenke mitzubringen, stattdessen lieber an eine Wohltätigkeitsorganisation zu spenden. Das ist sinnvoll, das ist nobel und zutiefst menschlich – käme mir aber nie in den Sinn, denn dafür hab ich Geschenke einfach zu gerne. Und ich schenke auch freudig, denn zu schenken heisst, sich in die andere Person hineinzufühlen. Man stellt eine Verbindung her. Und es muss ja auch nicht zwingend ein Konsumgut aus einem teuren Ladengeschäft sein, nein – mein Göttibub etwa glühte vor Glück, als ich ihm einen selbstgeschnitzten und herrlich verzierten Haselnussstecken schenkte, damit er damit auf Frühlingswanderungen Würste braten kann.
Das beste Geschenk in diesem Jahr erhielt ich von meinen Kindern: eine Schachtel Lego mit exakt eintausend bunten Basis-Steinen. Es ist nicht so, dass die Kinder mir aus Eigennutz Lego schenkten, denn sie selbst machen sich viel weniger daraus als ich. Dann und wann frage ich mich gar, ob ich mich einst nur deshalb für Kinder entschieden hatte, damit ich später einen Grund hätte, mit jemandem Lego zu bauen. Ich würde es ja niemals öffentlich zugeben und hänge es nicht an die grosse Glocke, aber: Es gibt kaum etwas, das mich so zufrieden stimmt, wie Lego zu bauen. Und kaum waren an meinem Geburtstag alle aus dem Haus, setzte ich mich auf den Zimmerboden und baute einen Turm bis zur Zimmerdecke, dann stürzte ich ihn um, um einen neuen Turm zu errichten, noch höher diesmal. Vielleicht ist das Legobauen auch Ersatz für den Traumberuf des Architekten, den ich nie hatte erlernen dürfen. Allerdings bin ich doch sehr froh für all die Menschen, die nicht in den Häusern leben müssen, die ich gebaut haben könnte. In keinem meiner Legobauten etwa finden sich sanitäre Anlagen.
Bald steht wieder ein Geburtstag an. Der meiner Frau. Und ich hab auch schon eine Idee, was ich ihr schenken könnte. Der «verstellbare Universal-Smartphone- und Tablet-Ständer» von Pearl ist nämlich noch unausgepackt. Da wird sie Augen machen!