GENDERJUGEND
«Zürich – Berechtigte Arroganz» stand in Frakturschrift auf dem Kapuzenpulli einer jungen Frau. Mir war unklar, wie viel Ironie da mitschwang und in welcher Subkultur der Spruch zu verorten war. Aber ich mochte die junge Frau nicht darauf ansprechen, einerseits weil ältere Männer mit Bart und Brille grundsätzlich keine fremden Frauen ansprechen sollten, andererseits kommunizierte sie nicht nur via Pulli, sondern auch mit ihrer Aura, und die flüsterte eindringlich: Mit ihr war gerade nicht gut Kirschen essen. Also fragt man halt zu Hause seinen besten Kumpel, den Computer, und der meinte, «Zürich – Berechtigte Arroganz» habe einen angestammten Stehplatz in der Fankurve eines zürcherischen Eishockeyclubs, welcher einige Erfolge vorweisen kann (zehnmal Meister, siebzehnmal Vizemeister). Der Spruch war also ironisch gemeint – aber wohl auch ernst.
Mode ist Kommunikation. Die direkteste und kostengünstigste Art des Sprechens via Kleidung ist dabei das bedruckte Oberteil. Damit kann man seiner Umgebung einfach mitteilen, welcher Ecke der Gesellschaft man sich zurechnet, was man mag oder nicht mag. Ganz im Sinne von: Wer bin ich – und wenn ja, wie reich/cool/lustig?
Es ist einer der Vorzüge des Winters, dass er die Daunenjacke des Schweigens über all die bedruckten T-Shirts und Pullis legt. Aber man kann natürlich auch Kopfbedeckungen besticken. Auf einer Wollmütze las ich unlängst ein einziges Wort: Genderbüebu, darunter prangte das Walliser- und Schweizerwappen. Ich dachte sofort, der Mann sei ein eingefleischter Verfechter des Genderns, des geschlechtergerechten Sprachgebrauchs. Dass er einer Gemeinschaft von jungen Männern (Büebu) aus dem Kanton Wallis angehört, die sich zusammengeschlossen hatten, um das Gendern zu propagieren. So etwas wie eine missionarische Genderjugend, aber halt strikt männlich. Sicherlich gäbe es auch die Gendermiisch oder -meitji. Doch dann fiel mir auf: der Mann war gar nicht mehr jung, sondern steinalt. Nun kommt es dann und wann vor, dass die Kleidung nicht mit dem Inhalt korrespondiert, wie damals nach dem Taylor-Swift-Konzert, als ich einen Bus voller Fans betrat: junge Mädchen, die angezogen waren wie ihre Mütter, und ihre Mütter, die angezogen waren wie ihre Töchter.
Ich sprach den Mann mit der Genderbüebu-Mütze nicht an, denn er hätte auratechnisch der Vater der eingangs erwähnten Arroganz-Frau sein können. Also fragte ich daheim meinen besten Freund, und der meinte, dass der Mann mit der Mütze wohl einfach Fan einer Musikgruppe namens Genderbüebu ist, einem supererfolgreichen Schwyzerörgeliquartett aus dem Wallis. Ihre Lieder heissen «Dr Geil», «Popo-Potpourri» oder «Seraina-Fox», doch mit der Geschlechterdebatte hat dies alles nicht zu tun. Gender ist im Fall der Volksmusik-Boygroup eine geographische Bezeichnung: Es ist der Name eines Alpteils im hintersten Gredetschtal, wo einer der Musiker seine Schwarznasenschafe sömmern lässt, unterhalb der Baltschiederlicka und dem sich vor dem Nesthorn hinlegenden Gredetschgletscher. Dort sind die Gender und die Genderflüo.
Ich weiss nicht, ob sich der Mann mit der Genderbüebu-Mütze dann und wann erklären muss. Vielleicht hat ihm auch schon jemand die Kappe vom Kopf gerissen, weil er oder sie dachte, er sei ein Sprachgerechtigkeits-Aktivist. Denn das Gendern gehört noch immer zu den Dingen, die manche Menschen auf die Palme bringen. Und zwar so richtig. Ich weiss dies aus eigener Erfahrung – auch dank den lieben Leser:innen dieser Kolumne.