• September 2023

FOTZELFINGER

Letzte Woche ging es an dieser Stelle um eine Plakatkampagne der Stadt Zürich, in der die Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt darauf hingewiesen werden, dass man altes Brot nicht wegwerfen, sondern ihm als Croûtons eine zweite Chance geben soll.

Heute kam ich wieder an dem Plakat vorbei, auf dem Weg zur derzeit angesagtesten aller angesagten Bäckereien. Ich schüttelte noch den Kopf ob des Plakats, als ich mich in die Schlange der Wartenden einreihte, und mir kam zudem in den Sinn, dass von der Kolumne von letzter Woche noch Reste übrig waren, die ich nicht wegwerfen sollte. Kein Text-Waste! Aber was damit tun?

Der Mann hinter der Brottheke riss mich aus meinen Gedanken, freudig lächelnd erwartete er meine Bestellung, doch er verstand nicht, was ich wollte. Er sprach nur Englisch. Also schaltete ich Google-Translate in meinem Kopf an. «A loaf of this soughtafter sourdough bread, please.» Ohne Englisch geht an manchen Ecken dieser Stadt gar nichts.

Auf dem Heimweg grübelte ich über den Preis nach, den man für den Laib verlangt hatte: 7.50 Franken. Ist das viel oder wenig? Oder wie alles bloss relativ? Zu Hause legte ich das Brot auf die Präzisionswaage. Es wog 600,7 Gramm. Folglich kostet das Kilo…?

Ich überschlug die Sache schnell im Kopf, denn Kopfrechnen ist dann und wann gesundes Hirnyoga, und es war ja auch ein einfacher, klassischer Dreisatz (der mich nur kurz erschaudern liess, da er mich an die dunkle Zeit der Gymi-Aufnahmeprüfung erinnerte), an dessen Ende doppelt unterstrichen ein Kilopreis von 12.4854337 Franken stand.

Aber der Laib war schön anzusehen! Ich nahm mir vor, ihn einfach ein wenig zu betrachten, seine Anmut zu geniessen, bevor ich das Brotmesser an setzte, um jeweils bloss hauchdünne Scheiben abzusägen. Diese Tiki-Taka-Salamitaktik führt natürlich dazu, dass der Laib hart wird, bevor man ihn verbraucht hat. Für mich stellt dies kein Problem dar, im Gegenteil. Denn es gibt für Altbackenes ein altbackenes Rezept, welches jedoch kaum zu toppen ist, weder in seiner Einfachheit noch in seinem resultierenden Geschmack: die Fotzelschnitte.

Ich weiss, der Name ist seltsam, aber je öfter man ihn vor sich hin sagt, desto schöner klingt er. Und es ist wirklich simpel: Brot in daumendicke Scheiben schneiden (aber mit angebrachter Vorsicht, sonst hat man Fotzelfinger); in aufgeschlagenem Ei-Milch-Mix ertränken; goldbraun in Butter ausbacken; in Zimtzucker wenden. Fertig. Wenn ich Fotzelschnitten esse, werde ich wieder zwölf Jahre alt, und die Welt mit ihren Problemen verschwindet, denn diese Seelennahrung ist so einfach, dass es das Leben ebenfalls wird – wenigstens so lange, bis sie verspiesen ist.

Das wäre für die Plakatkampagne doch viel prägnanter gewesen: Anstatt auf die Etepetete-Croûtons hinzuweisen, hätte man lieber die gute alte Fotzelschnitte propagiert. Aber sicherlich hätte man Vorbehalte gehabt, des Namens wegen. Fotzelschnitte. Man hätte wohl eher zum neudeutschen «French Toast» gegriffen, denn das Gericht ist selbstverständlich globales Kulturgut, vielen hier frisch Eingebürgerten ist es bestimmt noch als «Arme Ritter» bekannt – und die beste Version, welche ich je gegessen habe, war die spanische Variante im Restaurant La Manduca de Azagra an der Calle de Sagasta 14 in Madrid: Torrija caramelizada.

«Torrija caramelizada» klingt auch schön; aber nicht so schön wie Fotzelschnitte. In der Tat: Je öfter man es vor sich hin sagt, desto mehr wird das Wort zu Musik. Fotzelschnitte.