FERTIG HIRNMATSCH
Wo waren wir? Ach ja, bei den 2024 Vorsätzen für dieses Jahr, bewusst in solcher Zahl gewählt, damit am Ende wenigstens ein paar davon umgesetzt sein werden. Und wo war ich selbst? Ach ja, ich hab mich für eine Kaffeepause kurz vom Schreibtisch erhoben, in den Sessel gesetzt, zum iPhone gegriffen und schnell bei Instagram vorbeigeschaut. Dann hat mich das iPhone verschluckt und zwei Stunden später wieder ausgespuckt, allerdings nicht irgendwie bereichert und gescheiter, sondern leerer und dumpfer. In den letzten Jahren sah ich Instagram als spielerisches Werkzeug, mit dem ich mir Informationen beschaffen konnte, als Anregung, Inspiration. Aber irgendwas ist in den letzten Monaten geschehen. Das Gemüt der App hat sich verändert. Es ist dunkler geworden. Grimmiger.
Instagram hat mich in der vermeintlich kurzen Pause einmal quer durch den digitalen Sumpf gezogen. Es fing an mit Beiträgen von Freunden und Bekannten, so weit, so gut. Doch dann geriet ich in einen Strudel von Kurzfilmchen: wüste Strassenszenen in Frankfurt; eine Blondine kocht Kaiserschmarrn; ein Rallye-Auto, das sich überschlägt; herzige Katzen; ein dicker Rapper, der aus einem Lamborghini steigt; Werbung für Katzenfutter; randomisierter Road Rage; der Influencer Jeremy Fragrance, der auf Anhieb das Parfüm «Azzaro» erschnüffelt; ein Fahrraddiebstahl am helllichten Tag; noch mehr Road Rage. Aber selber schuld. Wäre lieber auf den Balkon eine rauchen gegangen und hätte dabei Vögel beobachtet. Doch ich konnte nichts gegen den Magnetismus der visuellen Horsd’oeuvres ausrichten. Der Sog war stark, ich war schwach – und ich weiss: Die Dinge, die mir der Algorithmus vorsetzt, sind nicht die Dinge, die ich sehen möchte, aber wohl die, die ich sehen will, denn der Algorithmus kennt mich besser als jeder andere. Instagram ist wie zu träumen, vom Unterbewusstsein gesteuert und unausweichlich – es gibt nur einen Ausweg: aufwachen. Deshalb eben Vorsatz N°327. Die Abstellung von Social Media auf meinen mobilen Geräten.
Die grosse Frage wird dann bloss sein, was ich mit der gewonnenen Zeit anfangen werde. Als ich 2009 mit Facebook Schluss machte, weil dieser Ort unangenehm geworden war, unfreundlich, toxisch, da nahm ich mir vor, mehr Briefe zu schreiben. Ich wusste aber auch, dass meine Handschrift etwas ist, das ich anderen Menschen nicht zumuten wollte. Also schaffte ich mir eine elektrische Kugelkopfschreibmaschine an, eine IBM Selectric II von 1974. Sie verströmte nicht nur das Parfüm der Vergangenheit, duftete nach Staub und Maschinenöl, sondern brummte und zitterte, wenn man sie einschaltete, und ein jeder Tastenschlag hallte wie ein Schuss, im Zehnfingersystem klang es nach einer Mischung aus Maschinenpistole und Flamenco-Show. So wurden früher Bücher geschrieben – man kann es sich kaum mehr vorstellen. Die Autoren:innen von damals müssen alle taub gewesen sein! Vielleicht sollte ich die Schreibmaschine wieder aus dem Keller holen und mit ins Büro nehmen. Das würde Eindruck machen! Eine jede und ein jeder würde hören: Da wird gearbeitet! Schlag auf Schlag! Buchstaben um Buchstaben! «Bimm!», macht das Glöckchen, bevor die Zeilenschaltung rauscht. Und dann erst das Geräusch, wenn man mit Schwung ein Blatt aus der Maschine reisst, zerknüllt und in eine Ecke pfeffert!
Aber erst mal Vorsatz N°327 umsetzen. Gleich morgen wird Instagram gelöscht. Oder übermorgen. Spätestens tags darauf. Und dann bereits die nächste Herausforderung in Form von Vorsatz N°328: Nicht Tiktok runterladen!