• November 2023

ES BRÄUCHTE NICHT EINMAL MUSIK DAZWISCHEN

Kurz vor den Wahlen, die für sie ja eher unschön ausgingen, haben die Grünen im Nationalrat eine Motion eingereicht. Man will die Verkehrsmeldungen im Radio nicht mehr. Die Hörerinnen und Hörer bekämen durch diese «Staupropaganda» den Eindruck, ein Autobahnausbau sei dringend nötig. Konkret fordern die Grünen die Abschaffung der halbstündlichen Verkehrsmeldungen auf allen SRF-Sendern. In Zeiten von Navis und Verkehrsapps seien diese Meldungen obsolet. Die Grünen schreiben von einer «Dauerberieselung» für Nichtbetroffene.

Eine Argumentation, die ich nicht nachvollziehen kann, denn die Verkehrsmeldungen sind doch etwas vom Interessantesten, was im Radio SRF zu hören ist! Zudem klingen sie wie kurzbündige, konkrete Poesie: «Auf dem Westring Richtung Bern stockender Verkehr ab Urdorf Nord.» – «Stau auf dem Nordring Richtung St.Gallen ab dem Limmattalerkreuz, folglich auch auf dem Westring ab Urdorf Süd und auf der A4 ab Winterthur Nord bis Henggart.» – «In der Region Solothurn auf der A1 Stau ab Luterbach bis Härkingen.» – «In der Zentralschweiz auf der A14 ab Rütihof sowie auf der A2 Richtung Basel ab Luzern Horw bis zum Sonnenbergtunnel.» – «Stau oder stockender Verkehr auf der A2 Richtung Luzern ab Pratteln bis Augst. In der Gegenrichtung Richtung Deutschland ab dem Schweizerhalletunnel.»

Sowieso: die Tunnel, von denen sonst nie jemand berichtet! Der Belchentunnel, der Gliontunnel oder der Tunnel zwischen Bonaduz und Rothenbrunnen, der heisst wie ein schleimiger Song von Ricky Martin: Isla Bella. Zudem vernimmt man von Orten, von denen man sonst niemals hören würde und deren Klang Musik in den Ohren von uns Geografieinteressierten ist: Grauholz und Kirchberg. Hagnau und Brüttisellen. Birrfeld!

So bekommt man doch ein Gefühl für unser Land. Ich bin jeweils arg enttäuscht, wenn der Moderator verkündet: «Es liegen zurzeit keine Meldungen über grössere Störungen vor.» Wie langweilig, wenn alles am Schnürchen läuft. Ist man selbst am Steuer, bringen Meldungen über Falschfahrer und Tiere oder Gegenstände auf der Fahrbahn (eine Matratze, ein Velo, eine Wohnwand) Pepp in den gern öden Autobahnalltag. Und wie gross die Erleichterung, wie bei der Auflösung eines «Tatort»-Krimis, wenn es dann heisst: «Entwarnung in der Ostschweiz!»

Am allerschönsten aber sind die Verkehrsmeldungen im Radio sommers, zur Ferienhauptreisezeit, wenn man selbst bereits irgendwo in den Bergen weilt – in der Küche am Werkeln ist, beispielsweise wieder einmal seit langem ein Huhn entbeint oder Pastateig knetet, bis er weich und samtig ist, in der Pfanne die Sauce köchelt und ihren Duft verströmt – und im Radio gemeldet wird: Stau am Gotthard, eine Stunde! Eine halbe Stunde später: neunzig Minuten Wartezeit. Dann: zwei Stunden Stau, dann drei! Herrlich! Wunderbar! Oft ist es ja so, dass man denkt, man wäre gerne an einem anderen Ort, weil es dort so schön sein muss, zumindest in der Vorstellung. Bei den Verkehrsmeldungen ist es genau umgekehrt. Man denkt vielmehr: Wenn die sich das antun wollen, sich durch den Gotthard zu zwängen, wenn alle anderen es auch tun: Bitte schön! Selber schuld! Spätestens dann wird doch klar, dass die Verkehrsmeldungen im Radio keine Propaganda für einen Autobahnausbau sind, sondern ganz im Gegenteil halbstündlich gesendete Argumente für den Umstieg aufs Velo, den Schienenverkehr oder das konsequente Zuhausebleiben! Darum: nicht weniger Verkehrsmeldungen im Radio, sondern mehr davon! Von mir aus bräuchte es nicht mal Musik dazwischen.