• April 2023

EIN ZIEMLICH PERFEKTES WOCHENENDE

Mein Nachbar stand vor der Türe, er hatte laut geklopft, ich sah Sorge in seinem Gesicht. Ob alles in Ordnung sei, wollte er wissen. Er habe gedacht, ich sei vielleicht in Not. Er habe Rufe gehört, laut und schrill. Eventuell müsse man die Polizei rufen?

Er blickte an mir vorbei in die Küche, denn von dort kamen die gellenden Schreie. Doch ich konnte ihn beruhigen. Es war bloss eine Partie Curling, die auf meinem Laptop lief, Südkorea gegen die Schweiz, ein Spiel der Jeder-gegen-jeden-Vorrunde der Frauen-WM im schwedischen Sandviken. Kein Wunder, wird es da laut, beim Curling wird gerne und laut geschrien – es ist ja auch ein actionreicher Sport. Und ich hatte die Lautstärke aufgedreht, denn ich war am Kochen.

All dies erklärte ich meinem besorgten Nachbarn, und ich sagte ihm auch, dass dies eine Liveübertragung ohne Kommentar sei, was ich sehr zu schätzen wisse, denn man habe dabei ein pures Gefühl für die Geschehnisse vor Ort, ohne vom hohlen Gerede der Kommentatoren belästigt zu werden. Ich sagte: «Immer wieder erstaunlich, was die für geraffelten Käse erzählen. Es gibt so viele schöne Wörter im Duden, bei der Sportlivefernsehberichterstattung jedoch werden nur wenige davon benutzt, diese aber immer und immer wieder. Natürlich gibt es Ausnahmen. Beim Radsport etwa, da moderieren dann und wann kompetente Leute, die die Kunst verstehen, über Stunden hinweg auf einem gewissen Niveau zu plaudern. Ich gucke am liebsten GCN, den Kanal Global Cycling Network, die übertragen so ziemlich jedes Rennen, sogar die Tour du Jura.»

Mein Nachbar schaute noch immer besorgt. Ich fuhr fort: «Ich schau sonst kaum noch fern. Die letzte Unterhaltungssendung? Vage erinnere ich mich an Beni Thurnheer und seine Millionenkugeln, wie hiess noch gleich Benis rassige Assistentin? Eine Ex-Vize-Miss und die Ex von einem Ex-Napoli-Spieler…ihr Name fällt mir nicht mehr ein. Das war zur dunklen Zeit, als Fernsehmoderatoren noch rassige Assistentinnen haben mussten! Die letzte Tagesschau? Jahre her! «10 vor 10»? Zehn Jahre mindestens! Ich konsumiere am TV nur noch Sport, den aber hochdosiert. Orientierungslauf-WM? Ich bin dabei! Ein Cricketspiel der Indian Premiere League? Kolkata Knight Riders gegen die SunRisers Hyderabad? Aber gerne! Rugby aus Frankreich, Racing 92 gegen Montpellier Hérault RC? Mais, bien sûr! Ein mitternächtliches Monstertruckrennen aus Daytona? Go for it! Jede Sportart ist mir willkommen, auch Tindersports!»

«Tindersports?»

«Sorry, ich meinte Timbersports! Dieser Wettkampf der Holzfäller: Baumfällen, Stämme kürzen, Latten schneiden, Motorsägengeheul, herrlich! Hätte ich als Kind gewusst, dass dereinst so viel Live-Sport kommt, ich hätte mir erst gar nicht die Mühe gemacht, einen Beruf zu erlernen, sondern eine Dose Bier gekrallt, die Kiste angestellt und auf dem Sofa sitzend bequem gewartet, bis heute ist!»

Mein Nachbar ging. Er schien beruhigt, obwohl er noch Falten auf der Stirn trug – sicherlich hirnte er, welche Sportsender er abonnieren sollte, um das Glück zu finden. Ich eilte zurück in die Küche, zu den Curlerinnen, die kommentarlos mit ihren Besen wie Hexen wirbelnd wischten und schrien, als hätten sie glühende Kohlen in ihren schleifenden Schuhen. Auf dem Feuer köchelte im schweren Topf leise blubbernd die Salsa di peperoni rossi e gialli con salsicce nach dem Rezept von Marcella Hazan, fröhlich ploppte laut der Korken, den ich mit Verve aus dem Hals der Weinflasche zog – es klang wie der Startschuss in ein ziemlich perfektes Wochenende.