EIN SEHNSUCHTSWORT PAR EXCELLENCE
Es gibt Worte, die klingen schrecklich und ungelenk. Und es gibt Worte, die klingen wunderbar und süss. Zu den uneleganten Worten gehört eines, welches ausgesprochen klingt, als habe man schon mehr als ein Bier intus – wenn es einem überhaupt gelingt, das Buchstabenvehikel auf Anhieb über die Lippen zu schieben: «Pluraletantum». Doch auch seltsam klingende Worte haben eine Existenzberechtigung – und eine Bedeutung. Ein Pluraletantum bezeichnet etwas, das nur im Plural existiert (dort heisst das Pluraletantum übrigens Pluraliatantum). Auffällig: Viele der Worte, welche nicht als Einzeldosen zu haben sind, beschreiben unschöne Dinge, etwa Prügel, Masern, Trümmer oder Kosten. Zur Pluraletantum-Familie gehört jedoch auch eines der wunderbarsten Worte überhaupt – ein Sehnsuchtswort par excellence: Ferien.
Denn die Ferien sind eine herrliche Zeit. Vor allem dann, wenn man sie gerade nicht hat, in der Welt der Gedanken, etwa während eines Büromeetings morgens um halb neun. Doch dies ist auch die Problematik, welche mit Ferien einhergeht: Finden sie dann endlich, endlich statt, müssen sie gelingen! Zwingend. Unbedingt. Schön wie in der Raffaellooder Bounty-Werbung («Geniess ein Stück vom Paradies») sollen sie sein. Und actionreich! Zudem erholsam! Und dann schnell noch gleich auf Instagram ein paar geile und satt gefilterte Fotos von Sonnenuntergängen und/oder cocktailschirmchenbestückten Gläsern mit rot leuchtendem Aperol Spritz samt Meer im Hintergrund als Belege des temporär gefundenen Glücks – damit die Daheimgebliebenen vor Neid noch bleicher werden, als sie eh schon sind, und zähneknirschend raunen: «Die habens gut!»
Mit dem Schönheitsstress nicht genug: Ferien neigen dazu, schweineteuer zu sein, vor allem, wenn man mit verlässlich undankbaren («Das WLAN ist schlecht!»), aber kostenintensiven Kindern unterwegs ist und mit Flugzeugen über Meere hinweg den Alltag all inclusive hinter sich zu lassen versucht. Wehe, wenn sie nicht wunderschön werden, die verdammten Ferien! Dies kann fatal sein. Deshalb erwarte ich von den Ferien eher wenig. Denn ich weiss: Grundsätzlich ist im Leben ein Schlüssel zum Glück und zur seelischen Zufriedenheit, tiefe Erwartungen zu hegen. Dies gilt in besonderem Mass für Hochdruckgebiete wie Urlaub. Mit tiefer gelegten Erwartungen ist man vor Enttäuschungen gefeit – hingegen sind positive Überraschungen jederzeit im Bereich des Möglichen. Ein Grund, weshalbich Feriengernein den topografisch aufragenden, aber ansonsten wenig aufregenden heimischen Bergen verbringe. Dort ist es wohltuend ereignisarm.
Am allerschönsten an solchen Ferien finde ich allerdings die Möglichkeit der Ferien von den Ferien. So wie in diesem Sommer. Irgendwann war uns nämlich so langweilig, dass wir ins Auto stiegen und aus den Bergen zurück in die Stadt fuhren – ohne dies jemandem zu sagen. Man meldet sich am Ferienort nicht ab, kündigt sich am Wohnort nicht an, ist weder hier noch dort, sondern zwischen den Dingen in einem Inkognito-Setting an einem eigentlich wohlvertrauten Ort, der sich jedoch ganz anders anfühlt, weil man eigentlich ja gar nicht dort ist. Zudem wirkt die Stadt sommers so angenehm entleert, dass man denkt: dumm, überhaupt wegzufahren! Dann aber, wenn man sich wieder an das vermeintlich vertraute Zuhause zu gewöhnen beginnt, fährt man zurück in die Berge in die Ferien, im Plural – denn anders gibt es sie ja nicht.