ECHO VOM NEBENHODEN
Man musste die Ohren nicht spitzen, um das Gespräch der zwei Männer mitzubekommen, abends in einer Bar. Sie waren wohl nach Feierabend direkt aus dem Büro gekommen und sitzen geblieben, steckten noch in ihrer Uniform, die auf mittleres bis gehobenes Finanzkader schliessen liess. Der Inhalt ihrer Gläser hingegen war eindeutig: Negroni.
«Hast du gelesen? In der Zeitung?», fragte der eine. «Was?», entgegnete der andere. «Da war ein Bericht von einer Mutter und ihrer Tochter, zwei Künstlerinnen», sagte der eine und hob beide Hände, seine Finger versahen das Wort «Künstlerinnen» pantomimisch mit Anführungszeichen. «Diese ‹Künstlerinnen› produzieren Vulvas aus Glas». – «Was aus Glas?» – «Vulvas. Oder Vulven. Oder Vulvi! Ich weiss nicht, weibliches Geschlechtsteil im Plural halt. Aus Glas.» – «Warum?» – «Kunst! Schmuck! Du kannst dir eine um den Hals hängen oder ans Revers stecken. Kosten vierzig Franken. Es gibt auch Riesenvulvas für an die Wand. Die sind natürlich teurer.»
Der andere schürzte die Lippen, zuckte mit der Schulter, ganz im Sinne von: Was es nicht alles gibt auf dieser Welt. Er sagte: «Ist doch mal was anderes. Wäre allerdings eher schwierig, wenn ich mir so ein Ding zu Hause aufhängen wollte.»
«Frauen können so was machen. Aber stell dir vor, ich würde mit meinem Sohn Glaspenisse herstellen. Stell dir vor, ich hätte einen Glasschwanz an einer Kette um meinen Hals baumeln. Meinst du, die Zeitung würde drüber schreiben? Meinst du, das käme gut an? Oder einen Hodensack – aus Walnussholz gedrechselt?!»
«Das könnte ich mir gut vorstellen. Ein handpolierter Hodensack aus Walnussholz. Als Handschmeichler. Für den Hosensack.» – «Oder im Büro auf dem Pult – ein Riesentestikel aus Marmor!»Die beiden lachten.
«Und dann der Jodelchor, der im Bundeshaus auftrat, am Tag der Frau, weisst du, wie der heisst?» Der andere schüttelte den Kopf.
«Echo vom Eierstock.»
«Dann gründen wir das Echo vom Nebenhoden», sagte der andere, «oder das Echo vom Samenleiter!» – «Echo von der Prostata», erwiderte der eine und hob die Hand mit ausgestrecktem Zeigefinger: «Apropos!», fügte er hinzu, «ich muss dringend schiffen.» Er stand auf und verschwand.
Als er nach einer Weile zurückkehrte, trug er einen Ausdruck der Glückseligkeit auf seinem Gesicht, wohl um zu verdeutlichen, dass er eben die Erleuchtung der Erleichterung erlangt hatte – und aber auch schon mehr als einen Drink intus hatte. «Den Ladykiller haben sie ja auch von der Karte genommen», sagte der Erleichterte, als er sich auf seinen Sitz plumpsen liess.
«Den was?» – «Ladykiller. So hiess ein Cocktail. Legendär. Ging politisch wohl nicht mehr.» – «Wie so vieles!», ergänzte der andere. Und der eine echote, es klang etwas melancholisch mit einem Schuss Bitterkeit: «Wie so vieles…»
Dann schwiegen sie. Der eine blickte in sein Glas, als suchte er dort nach dem Schlüssel zu einer Pforte zurück in die Zeit, als der Ladykiller noch auf der Karte der Bar stand und alles noch anders war. Doch er fand scheinbar nichts als Leere mit schmelzenden Eiswürfeln drin. Also winkte er den Kellner herbei. «Nochmals dasselbe», sagte er, sein Finger beschrieb einen Kreis über den leer getrunkenen Gläsern. Und als die neuen Drinks serviert waren, der weiss livrierte Kellner wieder verschwand, hoben die Männer ihre Gläser und prosteten sich zu.
Ganz so, als wären sie die letzten ihrer Art.