DOPPELKÖPFIGE ATOMWARNKATZEN
In einem Zeitungsbericht wurde über eine auch heute noch strahlende ehemalige Schönheitskönigin berichtet, die einst mit einem Mann liiert war, dann mit einer non-binären Person, dann wieder mit einem Cis-Mann, die einst klimaaktiv war und nun mit einem Piloten liiert ist. Im Zeitungsbericht ging es jedoch um einen anderen Aspekt ihres turbulenten Lebens, nämlich: Früher war sie Veganerin, nun isst sie wieder Fleisch. Die Strahlefrau hatte nicht nur ein paar saftige Steaks verinnerlicht, sondern scheinbar auch den Philosophen Peter Sloterdijk, der in seinem Buch «Du musst dein Leben ändern» von uns Menschen verlangt, dass wir stetig an uns arbeiten, immerzu kräftig Willensgymnastik und Gedankenyoga betreiben. Denn der Mensch besitzt die grossartige Fähigkeit, sich verändern zu können, äusserlich wie innerlich – manchmal sogar sehr rasch und radikal.
Ganz im Gegensatz zu anderem. Atommüll etwa. Der bleibt, was er ist, 1’000’000 Jahre lang: strahlend. Am Radio sprach dazu ein hohes Nagra-Tier, genauer war es der Obermaulwurf der Nationalen Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle. Eben war bekannt geworden, dass man nach tausend gebohrten Löchern den Top-Standort gefunden habe, wo man den radioaktiven Abfall zukünftig verbuddeln möchte: hart an der deutschen Grenze tief unter der Erde im Opalinuston – der übrigens kein Ton ist, aus dem man etwa Töpferware herstellen könnte, sondern ein 175 Millionen Jahre altes, unscheinbares, graues Gestein in tiefer Tiefe, eingeklemmt wie der Speck in einem Club-Sandwich zwischen Jurensismergel und Murchisonaeoolith.
Kein Wunder, hat man sich für den Opalinuston entschieden, denn sein Name klingt harmlos und sympathisch. Murchisonaeoolith als Urangruft wäre wohl etwas schwieriger zu kommunizieren.
Natürlich ist die Erstellung eines Atommülllagers nicht frei von Herausforderungen. Wer etwa wird in Zehntausenden von Generationen noch wissen, was dort einst vergraben worden ist? Wie kann man in der fernen Zukunft vor dem tödlichen Schatz warnen, zum Beispiel nach der nächsten Eiszeit?
Auch dafür gibt es selbstverständlich Ideen. Der Nagra-Chef meinte, die «Markierung» für die Zukünftigen sei ein «spannendes Thema», und erwähnte in diesem Zusammenhang etwa die Pyramiden, denn «was am längsten überlebt, sind Geschichten». Nun sind die Pyramiden nicht eben ein gutes Beispiel, schliesslich sind Hieroglyphen heute eher weniger geläufig – und nicht einmal Wikipedia weiss, wie die Pyramiden vor 4500 Jahren gebaut worden sind.
Der Mann erzählte weiter von der Option, ein Kloster zu gründen, damit die dort lebenden Brüder und Schwestern alle darauf hinweisen können, an jener Stelle nicht zu tief zu graben. Er erwähnte aber noch weitere «kreative Ideen», etwa die Möglichkeit, eine «neue Katzenart genetisch» zu «produzieren», welche nur dort lebt, wo der Atommüll unter ihren Pfoten schlummert, damit die Menschen daran erinnert würden, dass da «etwas Spezielles» sei. Allerdings führte er nicht weiter aus, wie diese Katzenart sich von anderen Katzenarten unterscheiden könnte. Sprechende Katzen wären sicherlich nicht nur sehr niedlich, sondern auch dienlich, gerne auch multilingual. Besser noch wären krasse Atomwarnkatzen mit zwei Köpfen oder drei Schwänzen oder zwölf Beinen.
Auf jeden Fall: ein abgefahrenes Gespräch, in dem der Nagra-Chef nicht nur über die ferne Zukunft fantasierte, sondern auch über die Gegenwart und seine persönliche Leidenschaft sprach, sein Hobby. «Privat bin ich Strahler», sagte er.