• Dezember 2023

DIE MAX-MAXIMA-METHODE

Zu einem Weihnachtsessen war ich eingeladen, in der Kronenhalle in Zürich. Ein eleganter Ort mit entsprechender «Gastordnung» (keine Jogginganzüge, keine Baseballkappen, keine Hunde über 20 Kilo). Also trug ich an jenem Abend mein bestes Langarmhemd. Die Wahl des Hemdes war mir leichtgefallen, denn ich besitze nur eines (für Hochzeiten, Abdankungen und eben Weihnachtsaktivitäten). Der Kellner brachte die Speisekarten, und die Gastgeberin meinte, man solle wählen, was man wolle, ganz ungezwungen. Also studierte ich das üppige Angebot, und je länger ich dies tat, desto mehr verlor ich mich in der Karte. Schon nur die Wahl der Vorspeise gestaltete sich schwierig. Matjeshering? Crevettencocktail? Die Castelluccio-Linsen mit Weisser Trüffel? Oder alles aufs Mal?

Wenn ich in solchen Entscheidungskämpfen gefangen bin, greife ich zu einem simplen Trick, ich nenne ihn die Max-Maxima-Methode: Man vergisst die Buchstaben, verschiebt den Blick auf der Karte etwas nach rechts und wendet sich den Zahlen zu, bestellt einfach das Teuerste. Das ist dann vielleicht nicht das Beste, aber die Wahrscheinlichkeit, dass es sich als das Schlechteste herausstellt, scheint mir kleiner als umgekehrt. Zudem ist unser Gehirn ja simpel gestrickt – wenn es teuer ist, dann muss es gut sein. Allerdings verspürte ich eine gewisse Hemmung, denn ich war ja eingeladen und wollte nicht in Verdacht geraten, die Gunst brutalst auszunutzen. Zudem wäre die Max-Maxima-Methode in der Kronenhalle fatal, denn dort ist teuer wirklich teuer!

So galt es konventionell aus der Vielfalt an deliziösen Köstlichkeiten auszuwählen, aus zwei Dutzend Vorspeisen und ebenso vielen Hauptgängen, und entschiede man sich für das Filet Robespierre, müsste man obendrein noch die Beilage wählen. Des halb wohl bestelle ich nie Dessert: Die Kombinatorikkompetenz ist da längst erschöpft.

In meinem Kopf rotierten die Schnitzel um die Filets, das Stroganoff wirbelte umher, und die gebratene Königstaube flatterte mittendurch. Ich konnte mich einfach nicht entscheiden. Doch die Sache wurde noch komplizierter, als die Gastgeberin mir die Weinkarte in die Hände drückte und meinte, ich sähe so aus, als käme ich beim Rebensaft draus. Von Wein jedoch habe ich wirklich keinen Schimmer, ich weiss bloss, dass Naturweine eklig sind. Sollte ich hier die Max-Maxima-Methode anwenden? Die teuerste Flasche war auch schnell gefunden. Mit Sicherheit ist der Romanée-Conti von 2019 ein anständiger Tropfen, aber diese Wahl könnte etwas grossspurig daherkommen, denn für eine Buddel wird 23’000 Franken genommen. Der kostengünstigste Rotwein ist für 57 Franken zu haben – aber ich wollte ja auch nicht als der dastehen, der ich war: ein knausriger Banause, der die billigste Plörre bestellt. Wein stellt mich immer wieder vor Probleme, auch vor Supermarktregalen bin ich vom Anblick der vielen Flaschen oft wie paralysiert. Und ich weiss aus Erfahrung, dass ich mich gerne einfach für das schönste Etikett entscheide, dieses aber mit grosser Zuverlässigkeit exakt auf der Flasche mit dem grössten Fusel drin prangt. In Restaurants gibt es keine optische Option, deshalb bestelle ich manchmal nach dem Klang des Namens des Weines; erst unlängst traf ich auf diese Weise eine gute Wahl (Finca Dofí aus dem Priorat).

Als der livrierte Kellner neben mir stand, um die Bestellung aufzunehmen, blickte ich von den beiden Karten in meinen Händen in seine erwartungsvollen Augen. Mein einziges Langarmhemd war unter den Achseln klatschnass, und ich sagte leise: «Äh…»