DIE MACHT DES OHRWURMS
Ich stand an der Supermarktkasse und überlegte, was der Kunde vor mir wohl zum Abendessen zaubern würde. Auf dem Förderband der Kasse lagen: drei Büchsen Thunfisch, ein Tetra Pak UHT-Vollrahm, Quinoa, Trutengeschnetzeltes, Sauerkraut, eine grosse Tüte Tex-Mex-Reibkäse sowie zwei Tafeln Kirschschokolade. Vielleicht ein neues Trendrezept, von dem ich noch nie gehört hatte?
Ich war diesbezüglich eventuell nicht mehr auf dem Laufenden. Also notierte ich die Zutaten im Kopf und nahm mir vor, sie später nachzukaufen und das neue Hip-Gericht auszuprobieren. Man überrascht ja seine Liebsten gerne mit frischen Ideen. Allerdings gälte es dann zu entscheiden, ob die Kirschschokolade als side dish serviert würde – oder in den Tex-Mex-Thunfisch-Truten-Sauerkraut-Quinoa-Schmaus eingearbeitet gehört. Dies wäre nicht abwegig, denn ein echtes Chili kommt ja auch nicht ohne Schokolade aus.
Doch diese Gedanken waren nicht alleine, denn in einem anderen Teil meines Schädels spielte Musik. Es war ein Ohrwurm, den ich mir eingefangen hatte und nicht mehr loswurde. Genauer war es bloss der Refrain eines Songs – und leider war es keiner der guten. Als Ohrwurm gilt allgemein ja ein Stück Musik, welches so eingängig ist, dass es sich durch den Gehörgang Zutritt zum Gehirn verschafft und es sich dort gemütlich macht, um fortan in Endlosschlaufe zu spielen. Doch es sind leider nicht nur die süssen und süffigen Melodien, die sich einnisten, sondern dann und wann auch die jenseitigen. Und diese stellen sich als besonders hartnäckig heraus.
«Diddel der Mäusedetektiv löst jeden Fall», so geht der Refrain. Es ist ein Ballaballa-Lied einer Gaga-Goa-Trance-Techno-Truppe namens HGich.T, ein Name, dessen Bedeutung nicht einmal die Bandmitglieder kennen. Über den Song stolperte ich per Zufall. Aber einmal gehört … und schon war der Schaden angerichtet, das Gehirn befallen.
«Diddel der Mäusedetektiv löst jeden Fall», tönte es, als ich im Tram ins Büro fuhr. «Diddel der Mäusedetektiv», tönte es, als ich bei einem Kerzenlichtdinner mit meiner Frau im Restaurant sass. «Diddel der Mäusedetektiv», spielte im Kopf, als ich einschlief und dudelte, als ich aufwachte. Was ich auch versuchte, ich wurde «Diddel» nicht los. Sicherlich war ein Grund für die Hartnäckigkeit, dass «Diddel» an Fragmente eines anderen Ohrwurms andocken konnte: «Schnappi, das kleine Krokodil».
Der Song war – man erinnert sich vielleicht – vor zwanzig Jahren ein Nummer-1-Hit in Deutschland, Österreich und der Schweiz (zudem in Grossbritannien immerhin auf Platz 32). «Schnappi» und «Diddel» haben eine genetische Verwandtschaft. Man könnte auch sagen: «Diddel» ist der dunkle Wiedergänger von «Schnappi». Doch ich hatte auch Glück im Unglück, denn «Diddel der Mäusedetektiv» ist einer der gemässigteren Songs von HGich.T. Es hätte durchaus schlimmer kommen können – «Techno Oma» oder «Der geile Max».
Ein paar Tage später, ich goss gerade den Vollrahm über das avantgardistisch aussehende Thunfisch-Truten-Sauerkraut-Quinoa-Schokoladen-Tex-Mex-Käse-Gemenge und fragte mich, ob es wirklich den ganzen halben Liter brauchte, da stellte ich fest, dass in meinem Kopf Stille eingekehrt war. Einfach so. Kein «Diddel der Mäusedetektiv». Kein «Schnappi». Kein anderes Lied. Nur wunderbare Ruhe. Und das nächste laute Geräusch, welches ich wieder vernahm, waren die Ahs und Ohs hungriger Vorfreude meiner Gäste, als ich den dampfenden Gratin auf den Tisch hievte.