Lieber Herr Pininfarina,
Lieber Herr Pininfarina
Wissen Sie, was Hakenwürmer sind? Ich dachte ja zuerst, das seien die Würmer, die man an einen Haken hängt, um damit Fische zu fangen. Falsch! Der Hakenwurm ist ein ganz spezielles Tier, so klein, dass man ihn kaum auf einen Angelhaken kriegen würde. Und von heller Farbe ist er, damit er an prächtigen tropischen Stränden im feinen Sand ausharren kann, bis bleiche Touristenfüsse daherkommen. Auf Füsse hat der Hakenwurm es nämlich abgesehen. Ja, auf Füsse ist er scharf.
Der Hakenwurm durchläuft in seiner Entwicklung nicht weniger als sieben Stadien. Der Wurm selbst lebt als Parasit im Darm. Dort legt die Wurm-Mama Eier ab. Diese werden mit den Exkrementen ausgeschieden und schon schlüpft die erste Larve, welche sich von Bakterien und Kot ernährt, eine zweite Larve geht aus ihr hervor, eine dritte folgt. Diese versteckt sich im sandigen Grund und wartet, bis Menschenfüsse daherkommen. Zum Beispiel die eines Touristen mit einer frisch geköpften Kokosnuss in der Hand, aus der er genüsslich schlürft, ein Reggae-Lied summend, eine Orchidee im nassglänzenden Haar. In einen dieser zwei Füsse also bohrt sich die Larve, durch die Haut nagt sie sich, dringt ins Fleisch – entlarvt sich, entledigt sich erneut ihrer Haut, rauscht ohne Umsteigen per Blutbahn direkt in die Lunge, wird von dort ausgehustet, um vom Menschen jedoch sogleich wieder „abgeschluckt“ zu werden. So kommt sie dorthin, wo sie will, an ihre Traumdestination, das Larven-Mauritius quasi: In den Magen. Sie setzt sich im Darm fest und wird zum Wurm, saugt Blut an den Darmzotten und schon bald beginnt die Geschichte von vorne.
Das alles hat mir meine Frau erzählt, nachdem ich mit einem glänzend farbigen Prospekt und der tollen Idee ankam, Ferien auf Mauritius zu buchen. Haben sie schon mal die Strände Mauritius’ gesehen? Traumhaft! Unberührt. Weisser Sand. Das Wasser glasklar. Palmen mit Hängematten. Korallenriffe. Bunte Fische. Nur lächelnde Menschen. Ja, aber eben: Überall ist der Haken drin, alles hat einen Wurm, und die Ferien in der Ferne hatte sich dann erledigt; wir fahren auch heuer klimafreundlich ins unfreundlich kalte Klima der Schweizer Berge statt an den tropischen Strand von Flic en Flac. Bloss wegen dem blöden Wurm. Haben sie mal einen gesehen? Wirklich scheusslich, mit fiesen Zähnen und gähnendem Schlund – sieht aus, als ginge er als Monster zur Fasnacht.
Lieber Herr Pininfarina, entschuldigen sie die langfädigen Ausführungen. Aber ich musste einfach an den Wurm denken, als ich im Fitnesscenter nach dem Training vom angebotenen Gratiskaffee in der Lounge profitieren wollte. Der Kaffee tröpfelte aus einer Lavazza-Maschine, Modell LB 2300 Single Cup. Ich denke, sie kennen diese Maschine, oder? Sie ist nämlich von ihrem Designstudio in Norditalien entworfen worden. Und wissen sie was? Es ist eine grottenpotthässliche Maschine. Immer wieder muss ich es anschauen, dieses monströse Ding aus Plastik, das mich traurig stimmt.
Und dann schreiben sie auch noch ihren Namen drauf. Unten rechts. Signieren das Ding wie ein grosser Meister sein Werk. Also müssen sie irgendwie stolz auf ihren Entwurf sein. Meine Güte, dabei haben sie (also ihr Vater und der Vater ihres Vaters) früher so elegante Dinge entworfen wie Lancias oder Ferraris. Und nun diese silberfischgraue Kaffeemaschine.
Die Welt, sie ist voller hässlicher Dinge. Manche gibt es schon lange, wie etwa den Hakenwurm. Andere haben Designer wie sie in die Welt gebracht. In vollem Bewusstsein also.
Tja, ich habe nun Angst, dass sich ihre Kaffeemaschine irgendwo versteckt, in einer Ritze des Bodens im Duschbereich oder unter der Bank im Umkleideraum und dann - ohne dass ich es merke - sich durch meine Fusssohle bohrt, ins Fleisch dringt, sich häutet, in die Lunge reist, „abgeschluckt“ wird um dann in meinem Darm an den Zotten Latte macchiato zu nuckelt. Obwohl ich seither nur noch mit Turnschuhen an den Füssen dusche: Diese Angst will nicht schwinden. Und das ist ihre Schuld.
Mit total designten Grüssen
Max Küng
PS: Song zum Thema: „Waiting for the Worms“, The Pink Floyd, vom Album The Wall, 1979.