DER GIPFEL DES GLÜCKS
Ich war noch niemals in diesem Café, in einem Quartier in Zürich, welches ich nur selten betrete, denn es liegt am anderen Ende der Stadt und gilt als durchschickimickisiert. Aber ich wollte einen Freund treffen, er hatte mich dorthin bestellt. Ich war zu früh, bestellte einen Espresso und ein Gipfeli und las in der Zeitung. Und zwar über etwas, von dem ich hier berichten muss.
Die Baslerinnen und Basler werden nun die härtesten der härtesten Vorjahres-Läckerli aus den trommelförmigen Blechdosen herausklauben, um mich damit zu steinigen. Aber es ist eine Wahrheit, und als solche muss sie ausgesprochen werden: In Zürich sind die Menschen glücklicher als in Basel. Und zwar um so circa zwanzig Prozent.
Natürlich stimmt diese Aussage nicht in jederlei Hinsicht, denn Glück ist ein Warenhaus mit vielen Abteilungen. Es stimmt jedoch in Bezug auf das in der allgemeinen Wahrnehmung noch immer grösste Glück, nach dem wir streben: den heiligen Bund der Ehe.
Im Jahr 2020 wurden in Zürich präzis 2212 Ehen geschlossen – und für 737 war Matthäi am Letzten. In Basel gab es in diesem Zeitraum 340 Scheidungen und 816 Neu-Ehen. In Zürich liegt demnach der Unglücksfaktor bei 33,3 Prozent, in Basel bei 41,7 Prozent. Und auch die unterschiedliche Länge der geschiedenen Ehen ist frappant: Hielten sie in Zürich durchschnittlich 14,7 Jahre, so waren es in Basel-Stadt nur 13,3 Jahre.
Gut, man könnte nun auch anders argumentieren, nämlich: In Zürich sind die Menschen dümmer. Und in Basel halt einfach impulsiver, dem aktiven Leben mit all seinen Möglichkeiten und Freiheiten zugewandter. Sie durchschauen das Blendwerk des Konstrukts «Ehe» und sind mutiger, den Schritt zu wagen und das einschnürende Korsett abzulegen, die schweren Fesseln zu sprengen. Man könnte sagen: In Zürich haben sie einfach eine 1,4 Jahre längere Leitung. Oder aber – andere Theorie – in Zürich können sich viele die Scheidung schlicht nicht leisten, wegen der höheren Lebenshaltungskosten und den daraus resultierenden Unterhaltszahlungen. Ist man deshalb in Zürich scheidungszurückhaltender? Oder ist es gar eine Kombination aus Kostendruck und Dummheit?
Ziemlich dumm auf jeden Fall kam ich mir vor, als ich in Zürich in diesem Café sass und das bestellte Gipfeli dann auch kam, das sich mondän Croissant nannte. Der Geschmack war nicht das Besondere an ihm, auch nicht die Grösse seiner Erscheinung, sondern jene seines Preises: 4 Franken und 50 Rappen. Ich musste beim Serviermenschen nachfragen, dachte, ich hätte mich verhört. Aber nein. 4 Franken und 50 Rappen. Es war nicht mit Gold bestäubt und noch nicht einmal mit Konfitüre gefüllt, nein, es war nichts anderes als ein ordinäres Mitglied der Familie der luftigen Plundergebäcke mit nichts drin oder drauf, zudem auch noch auf der eher trockenen Seite, eventuell gar ein Vortagsmodell.
Ich schluckte mein Erstaunen in kleinen Bissen zusammen mit dem Gipfeli hinunter, liess es mit mir geschehen, obwohl ich wusste, dass man 4 Franken und 50 Rappen für ein simples Croissant nur von Menschen verlangen kann, die sehr, sehr dumm sein müssen. Zum Beispiel von Zürcherinnen und Zürchern. Die Dummheit und die Glückseligkeit gehörten ja aber schon immer zusammen («Beati pauperes spiritu» heisst es bei Asterix). Ich denke, die beiden Begriffe müssen verheiratet sein. Und sie werden sich die Treue halten, in guten wie in schlechten Zeiten, bis ans Ende aller Tage.