• April 2023

DER FLOW IST SEIN FREUND

Dass es das Leben gut mit ihm meint, davon erzählen schon die zwei Autos, die vor seinem Haus stehen. Ein nagelneuer Rolls-Royce SUV, daneben ein Mercedes G-Klasse, beide makellos weiss, beide von Spezialisten veredelt, die Felgen gross, die Reifen breit, die Auspuffendrohre poliert. Das sind nicht die üblichen Wagen, welche die gewundenen Strassen im beschaulichen Einfamilienhausquartier zieren. Aber hier wohnt auch nicht irgendwer, sondern der derzeit wohl mit Abstand erfolgreichste Musiker des Landes: Ozan Yildirim, einunddreissig Jahre alt, Künstlername OZ, wie der Zauberer von Oz im Fantasy-Filmmusical mit Judy Garland. Und mit Zauberei und Fantasy hat auch Yildirims Geschichte zu tun, filmreif ist sie sowieso, bereits jetzt.

Der Name OZ mag einer breiten Masse eventuell nicht so bekannt sein, was damit zu tun hat, dass OZ nicht als Interpret im Rampenlicht steht, sondern als Komponist und Produzent eher im Hintergrund agiert, in seinem Studio instrumentale Fundamente herstellt, quasi die Spielwiesen, auf denen sich die Rapper wie Drake oder Travis Scott verbal austoben können. Er baut die Beats. Er liefert die Hälfte des Ganzen – und manchmal auch bloss einen Bruchteil davon. Doch der Umstand, dass er nicht dem grellen Licht der öffentlichen Wahrnehmung ausgesetzt ist, ist ihm ganz recht. So hat er seine Ruhe und findet die Zeit, das zu tun, was er am liebsten tut: bei sich zu Hause im Studio hängen, nach Sounds suchen, krasse Musik machen, Herr über seine Zeit sein und zwischendurch ein bisschen Playstation zocken, falls ihn die Muse verlässt.

OZ öffnet die Türe. Der Bart ist sauber getrimmt, das Lächeln sanft, der Händedruck herzlich. Man spürt nichts von Attitüde, eher entspannte Bodenständigkeit: Da ist ein Mensch bei sich und daheim, in Hausfinken, und fühlt sich wohl. OZ bittet herein, man hört unverkennbar die Herkunft im Dialekt, das Toggenburg, und er entschuldigt die Unordnung im Flur. Dort steht eine mannshohe hölzerne Transportkiste aus Übersee. Die packt er aber erst gar nicht aus, denn bald wird gezügelt, er hat am Zürichsee ein Haus bauen lassen.

Die Wände des neuen Hauses werden auch etwas mehr Platz bieten für das, was in der Kiste drin ist – und von dem in Zukunft noch einiges den Weg zu OZ finden wird. In der Kiste: die diamantene Schallplatte der RIAA, der Recording Industry Association of America, für den Song «Life is Good» von Drake und Future. Einer von vielen Songs, zu denen OZ seinen Beitrag geleistet hat. Gerade mal zwei Jahre hatte «Life is Good» benötigt, um diesen Status zu erreichen. Diamant heisst: zehn Millionen verkaufter Einheiten in den USA. Der Titel des Songs passt, denn das Leben ist gut zu OZ. Und er ist dankbar und demütig, denn der Erfolg ist nicht selbstverständlich. Doch er hat immer daran geglaubt, dass es so kommen würde, wie es kam, schon damals, als er noch ein ganz normaler Teenager in Wattwil war: Er spielte Fussball im Verein, hatte eine Horde von Freunden, hörte die Künstler, die man damals hörte: Eminem, 50 Cent, Fat Joe, träumte davon, selber einmal Musik zu machen. Bis seine Eltern taten, was er ihnen lange nicht verzeihen konnte: Sie packten die Zügelkisten.

Ein Glücksfall

Es ging vom offenen Multikulti-Wattwil ins hinterste Tösstal, nach Gibswil. Dort gab es keinen Fussballclub und kaum Freunde, bloss hundert steile Berge, eine Skisprungschanze und im Gemeindewappen zwei traurig dreinblickende Fische. Doch das vermeintlich Schlechte sollte sich für OZ bald als Glücksfall herausstellen. «Am Anfang war ich traurig, man lässt seine Freunde zurück. Aus heutiger Sicht ist es natürlich keine Distanz von Wattwil nach Gibswil, eine halbe Stunde mit dem Auto, als Kind jedoch hatte man das Gefühl, man habe das Land verlassen. Im Nachhinein jedoch war es die beste Entscheidung, die meine Eltern treffen konnten.»

Im stillen Örtchen Gibswil hatte er seine Ruhe, es gab kaum Ablenkung. «Ich konnte mich auf die Musik konzentrieren.» Denn er hörte nicht mehr nur Musik, sein Interesse ging mittlerweile weiter und tiefer: «Es hat mich interessiert, wie die Dinge entstehen.» In der Manor hat er sich das Programm Magix Music Maker gekauft und ange-fangen, Mixes zu machen. Als DJ Ladykiller feierte er seinen ersten Erfolg, gewann ein Battle-DJ-Tournament, setzte sich gegen ältere Konkurrenten aus ganz Europa durch – er war damals vierzehn Jahre alt.

Mit dem Preisgeld kauft er sich eine Playstation 3. Irgendwann realisierte er: Man kann auch selber Beats bauen. Er stieg tiefer in die Thematik ein, legte sich ein weiteres Computerprogramm zu, FruityLoops hiess es. Später liess er sich das FruityLoops-Logo als Tattoo auf dem Arm stechen. Nicht grundlos, denn: «Für mich war das: Wow! Crazy.» Und so fing er an, zu produzieren. «Ich hatte Kollegen in Deutschland, die auch vom D-Jing zum Produzieren übergingen, und wir haben uns dann immer gegenseitig Beats geschickt, wir versuchten, uns gegenseitig zu toppen. Und es gab auch Kritik. Das hat mich angespornt, noch besser zu werden. Es war Learning by Doing.»

Nach der Schulzeit absolvierte er seriös eine Detailhandelslehre bei Fust in Hinwil, verkaufte Flatscreens und Fritteusen, in seiner Freizeit aber produzierte er leidenschaftlich und fleissig Musik. Und nach der Lehre, als er in einem Callcenter jobbte und eines Tages alleine in der Mittagspause sass, dachte er bei sich, er müsse sein Schicksal nun in die eigenen Hände nehmen.

«Ich bin kein aufdringlicher Mensch. Ich lasse die Dinge eher auf mich zukommen. Aber an jenem Tag dachte ich: He, ich hab nichts zu verlieren.» Also schrieb er eine E-Mail an einen US-amerikanischen Produzenten namens The Beat Bully, bot ihm 250 Dollar für die E-Mail-Adresse von Meek Mill, einem Rapper, um diesem ein paar seiner Beats zu schicken, auf gut Glück. Beat Bully stieg auf den Deal ein. Ein paar Wochen geschah nichts. Dann klingelte OZ’ Telefon, und es kam eins zum anderen, in rascher Reihenfolge, turbomässig. «Immer, wenn ich daran zurückdenke, finde ich: crazy.»

Daran ist auch seine Tante mitschuldig. Sie hatte OZ ein Buch empfohlen, das ihn und seine Arbeitsweise bis heute prägt: «The Secret» von Rhonda Byrne, ein Klassiker der spirituellen Ratgeberliteratur und eine Anleitung, wie Gedanken das Leben beeinflussen. «Ich glaube an das Gesetz der Anziehungskraft. Ich visualisiere meine Wünsche, stelle sie mir vor. Was möchte ich erreichen? Ich schreibe es auf und bete dafür. Das ist ein Mix, der mega mächtig ist.» Das habe er früh erkannt; und immer habe er den positiven Gedanken gehabt, an sich selbst zu glauben. Denn: «Glauben kostet nichts.»

Ein Song für eine Uhr

Er behielt seinen Brotjob, obwohl sich nach der Sache mit Meek Mill herumsprach, dass da in der kleinen Schweiz einer war, der es verstand, mit Zauberhändchen geniale Beats herzustellen, die zu Hits wurden, und OZ bald mit Künstlern wie Chris Brown, Drake oder DJ Khaled arbeitete. Doch für ihn galt – ganz schweizerisch – safety first.

«Das Leben hier ist nicht billig. Ich wusste, ich kann nicht einfach kündigen und schauen, wie ich von Monat zu Monat hustle.» Bis es dann doch so weit war, das Geld floss und er sich die erste grosse, richtige, fette Belohnung für den Erfolg gönnte: Er kündigte seinen Job, um sich fortan nur noch der Musik zu widmen. Und es folgte auch eine erste materielle Belohnung, eine Manifestation dieses Erfolgs, den er sich erarbeitet hatte: eine Rolex. Uhren sind für OZ bis heute ein Symbol der Unabhängigkeit. Mittlerweile sind noch ein paar andere Exemplare hinzugekommen. Vor allem die Modelle der Marke Audemars Piguet haben es ihm angetan, eine Marke aus dem kleinen Ort Le Brassus im hintersten Vallée de Joux, die in der Rap- und Hip-Hop-Kultur eine bedeutende Rolle spielt, weil sie von Stars getragen und besungen wird, etwa von Jay-Z. Es entstand auch eine musikalische Kollaboration mit Audemars Piguet, auf die OZ stolz ist – er hat einen Song für sie komponiert. Und stolz zeigt er die Uhr an seinem Handgelenk: Eine grosszügig mit regenbogenbunten Edelsteinen verzierte Royal Oak, das Gehäuse und Armband aus gefrostetem Weissgold, das Ziffernblatt kunstvoll skelettiert, man blickt direkt in das offene, pochende Herz der Uhr.

Für OZ ist klar, weshalb teure Uhren und Rap zusammengehören. «Jeder, der Musik macht, hat den Traum, davon zu leben. Und dann hat man es tatsächlich irgendwann geschafft. Die Uhr ist eine Erinnerung daran; auch an Tagen, an denen man demotiviert ist, an sich selber zweifelt, von sich selber denkt, dass man vielleicht doch nicht so crazy ist, wie man dachte. Und dann sieht man die Uhr an seinem Handgelenk. Das erinnert mich daran, dass ich das alles mit Musik habe ermöglichen können. Das ist Motivation und Inspiration.» Zudem: Uhren seien immer schon ein fester Bestandteil von Hip-Hop und Rap gewesen. «50 Cent mit seinen Bling-Bling-Sachen, ein Dr. Dre, ein Tupac, ich bin damit aufgewachsen, das hat mich geprägt.»

Eine Uhr – so schön und wertvoll sie auch sein mag – ist aber auch immer gnadenlos, denn sie sagt, dass die Zeit verrinnt. OZ muss ins Studio, das er sich im Haus eingerichtet hat, denn so kann er an seinen Beats bauen, wann immer ihm danach ist. Das Studio ist nicht besonders gross, aber gemütlich, genau nach seinem Geschmack. Auszeichnungen an den Wänden. Ein paar Keyboards, ein analoger Prophet-5 Synthesizer. Computer. Eine Festplatte mit dem Tonarchiv: zwei Terabyte Sounds, Schnipsel und Samples. Screens. Boxen. Eine Ecke mit Spielkonsolen, das Gamen ist nebst der Musik eine der grossen Leidenschaften von OZ: Games wie «The Legend of Zelda: Breath of the Wild» sind ihm Entspannung und Inspiration zugleich.

OZ’ Arbeitsweise ist ein Wechselspiel von Lockerheit und Disziplin, von flüchtiger Inspirationssuche und intensivster Arbeit. Die Wahrung dieses Gleichgewichts hält ihn auch davon ab, dorthin zu ziehen, wo die meisten seiner Kunden sitzen, nach Nordamerika. Denn hier in der Schweiz ist er aufgewachsen, hier sind Familie und Freunde, hier fühlt er sich wohl. Wenn er dann mal drüben sei, dann lebe er den krassen Rapper-Lifestyle, der manchmal fast zu wild sei.

Wenn er in den Staaten leben würde, könnte er jeden Tag Party machen, doch dann wäre er zu sehr abgelenkt. Denn er will vor allem eines: die Zeit haben, Musik zu machen. Zudem ist es wohl auch eine Frage des Charakters; und der Erziehung. «Ich habe auch die Relation zu Geld nie verloren, kann noch immer einschätzen, ob ein Kaffee für zwanzig Franken zu teuer ist oder nicht.»

USA vs. Schweiz

Beim Thema Geld ist er der «typische Schweizer», wie er selber sagt: Er redet nicht darüber. «Ich geh nicht in die Welt raus und sage, wie viel ich verdiene. Aber alles, was ich mir gekauft hab, womit ich mich belohnt habe, das habe ich selbst geschafft. Und ich bin nicht so verklemmt, dass ich sagen würde: Mit einem Rolls-Royce wärs jetzt schon übertrieben. Wenn es für mich geil ist und ich es mir leisten kann, wenn ich gerade einen Erfolg hatte, für den ich mich belohnen möchte, dann kauf ich etwas, das für sonst jemanden vielleicht ein bisschen zu viel wäre. Für mich ist es aber auch Inspiration. Ich arbeite mit US-Amerikanern. Ich sehe, wie die leben. Und ich finde diesen Lifestyle cool, er inspiriert so krass. Ich wuchs ja mit Hip-Hop auf, ich bin diesbezüglich richtiggehend brainwashed.»

Anstatt in die Staaten zu ziehen, holt er sich ein Stück des dortigen Lifestyles in die Schweiz und kauft sich eben einen Rolls-Royce.

Kerzen sind Instrumente

Er wird heute wohl noch einen Beat bauen. An manchen Tagen sind es auch fünf, an anderen entsteht gar nichts. Im Schnitt aber kommt aus seiner Swiss-Quality-Hochpräzisionsschmiede ein Beat pro Tag. Dreissig im Monat. Alle bekommen einen Namen. Quasi einen Arbeitstitel, der über die Musik hinaus noch eine Idee mitliefert, eine Stimmung, eine Farbe. Dann geht die Rohware zu den Künstlern. Es kommt auch vor, dass die dann seinen Titel gleich übernehmen. Bei Travis Scott war dies gleich zweimal der Fall, bei «Champion» und «Escape Plan».

Im Studio entzündet OZ eine Duftkerze. Ein betörender Geruch von Honig breitet sich aus. Oder Tabak? Gewürze? Es ist ein warmer Duft, einlullend, süsse Fruchtigkeit schwingt mit. OZ arbeitet nie ohne seine duftenden Helferlein. Sie sind eine weitere Inspirationsquelle, faszinieren ihn. «Ich liebe Düfte über alles. Parfüms. Duftkerzen.»

Nicht verwunderlich, denn Musik und Düfte haben viel gemein, schon wenn man die Begriffe betrachtet, die man in beiden Welten verwendet: «Noten», «Tempo», man kennt «Dissonanz» und «Harmonie», und ein Parfümeur benutzt oder «spielt» sogar ein «Instrument»: die «Duftorgel», welche eine Vielzahl von Duftstoffen enthält, mit denen man «komponiert». Auch nicht weiter verwunderlich also, dass OZ daran ist, selber einen Duft zu komponieren.

Doch bei ihm geht die Beziehung zum Olfaktorischen noch weiter: Er verbindet mit Düften immer auch gewisse Momente in seinem Leben – und umgekehrt. Selbstverständlich trägt OZ heute ein Parfüm. Es ist Reflection 45 von Amouage. Morgen wird es ein anderes sein. Übermorgen nochmals ein anderes. Je nach Stimmung. «Aber wenn ich in, sagen wir, zwei Jahren den Duft wieder rieche, den ich heute trage, dann bin ich gedanklich auch wieder in diesem Moment hier und jetzt. Es ist dann, als mache ich eine kleine Zeitreise. Der Moment ist in meinem Duftsystem gespeichert. Dasselbe mit den Duftkerzen. Ich hab immer eine brennen, wenn ich Musik mache. Und wenn ich in einem Jahr den Duft wieder rieche, realisiere ich: Oh, krass, ich habe vor einem Jahr diesen Song von Travis Scott produziert.»

Die brennende Duftkerze wird also im Studio eine angenehme Atmosphäre schaffen, damit OZ’ Fantasie auf Reisen durch Zeit und Raum gehen kann. Aber zuvor erzählt er noch ein wenig von einer weiteren Leidenschaft: Fussball. Insbesondere der englische Fussball hat es ihm angetan. «Ich schaue alle Spiele, die ich schauen kann; wenn heute Crystal Palace gegen West Ham spielen würde, ich würd mir das ansehen, und zwar das ganze Spiel. Ich bin kein Highlight-Watcher.» Sein Herz schlägt vor allem für einen Verein: Tottenham Hotspur F.C. Von Son Heung-min bekam er ein signiertes Leibchen zugesandt.

Die Uhr tickt. Aber OZ hat noch immer keine Eile. Aus dem Haus führt er gemächlich durch die Garage. Dort stehen seine beiden anderen Wagen: ein Rolls-Royce Wraith Black Badge und ein Lamborghini Aventador SVJ, beide ebenfalls weiss lackiert, beim Rolls sogar die Felgen. Und bald kommt wohl ein fünfter Wagen hinzu. Eine weitere Belohnung für einen weiteren Erfolg. Welches Auto es sein wird? OZ lächelt vielsagend.

Denn der Flow ist sein Freund, und das Leben ist gut.