• Dezember 2016

Bally Bally

Schöne Reaktion von den Kugelmenschen auf meine Kolumne im Magazin. Die Kolumne ging übrigens so:


Lieber Amancio Ortega,

ich weiss nicht, wie es ihnen ergeht, aber ich liebe Kugeln. Ich liebe Glacékugeln und Kugeln aus Schnee, die man grösser und grösser rollt und zu Schneemännern türmt, ich liebe die kopfigen Kugeln in den alten IBM-Schreibmaschinen und die Arancini genannten Dinger aus Reis, auch die Erdenkugel halte ich für recht gelungen. Je weniger exakt eine solche Kugelgeschaffen ist, desto lieber ist sie mir. Und es ist eines meiner Hobbys, Kugeln zu googeln. Ja, so eine Kugel, finde ich, ist ein runde Sache.

Zu meinen Lieblingskugeln gehörten auch jene fünf Stück an der Fassade eines Hauses an der Bahnhofstrasse in Zürich. Es ist ein Haus der Architekten Haefeli, Moser, Steiger, ich denke, sie kennen es, denn sie sind dort Mieter, genauer ihr Modehaus Zara, das von ihnen gegründet wurde. Bis vor ein paar Jahren war Bally dort zuhause, deswegen heisst das Haus auch Bally-Haus und auf den 1968 vom Zürcher Grafiker Gérard Miedinger gestalteten Kugeln standen die fünf Lettern B und A, zweimal L und einmal Y noch. Das Haus steht unter Denkmalschutz, wie auch die Schrift. Nun ja, eben, dann zog Bally aus und Zara ein und sie wollten nicht in einem Haus hausen, welches den Namen einer fremden Firma trägt, ganz so wie eine neue Flamme von ihrem Typen verlangt, er solle den tätowierten Namen der verflossenen Schabe auf seiner Brust weglasern lassen.Also hat man die Originale demontiert und lässt sie irgendwo verrotten und stattdessen hängen nun Kopien dort mit LED-Anzeigen und statt BALLY las ich: ACQUA. Ich war recht in Gedanken, was das Wort in diesem Kontext bedeuten mochte, als eine Freundin des Weges kam. An meinen Händen hingen Zara-Tüten mit Kinderkleidern darin, die ich eben gekauft hatte,und sie schimpfte sogleich los mit mir, denn sie ist sehr streng, kam mit vielen Beispielen, dass mir Sturm im Kopf wurde: Zwangsarbeitsvorwürfe gegen Zara in Brasilien, Kinderjacken mit hormonell wirksamen krebserregenden Chemikalien, Steuertricksereien dank Tochterfirmen in der Schweiz und Holland. Von nichts kommt nichts, das ist schon klar. Aber, lieber Senor Ortega, stimmt das? Es ist ja schon erstaunlich, was sie da geschaffen haben: Vom mittellosen Laufburschen zum zweitreichsten Menschen der Welt zu werden, und zwar mit nichts anderem als dem Verkauf von Billigkleidern.Natürlich stellt sich die Frage, wie das geht. Einerseits Hosen für 20 Franken. Andererseits ihr Vermögen von geschätzten 70 Milliarden. Unser Geiz und ihr Reichtum - ist es wohlmöglich so, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter in den Fabriken die Party bezahlen? Dies auf jeden Fall ist das, was meine Freundin behauptete - und die Tüten in meinen Händen wurden schwer, als sei darin die Schuld der Welt. SCHAM hat ja auch fünf Buchstaben, aber SCHAM werden wir nicht lesen, dort, an der Bahnhofstrasse, sondern bloss Wohlfühlworte, obwohl es durchaus angebracht wäre, dass wir uns schämen: Ein Haus und ein Andenken so zu schänden. Zum Denkmalschutz sagt man gerne ja - ausser es kommt der reiche Mann aus Kastilien: Ziemlich bally-balla.

Meine Freundin ging ihres Weges und noch eine Weile stand ich dort und dachte darüber nach, was sie gesagt hatte und was ACQUA mir sagen wollte. Auch ihre Angestellte im Untergeschoss wusste es nicht, sie hatte bloss gesagt: „Die Schrift, äh, äh, keine Ahnung, ist irgendwie Kunst oder so?“ Tags darauf stand dann dort: FAMOS. Irgendwie Kunst oder so, das ist es wohl auch, wie man zum reichsten Menschen Europas wird. Ziemlich famos auf jeden Fall. Und da fällt mir auch noch ein Wort ein mit fünf Buchstaben: KUGEL. Die könnte ich mir echt geben, wenn ich noch länger über alles nachdenke. Apropos Nachdenken, was hat sich eigentlich die Fachstelle Reklamebewilligungen dabei gedacht, diese LED-Schrift zu genehmigen? Die Worte sind so verwirrend, dass es nicht mehr lange dauern kann, bis ein Automobilist nach dem Rotlicht vor lauter Studieren nicht um die Kurve fährt, sondern geradeaus in den Herkulesbrunnen oder den herzigen Weihnachtsstand mit den bunten Socken und Finken rast. Wollen wir das?

Saludos, Max

Song zum Thema: „Money“ in der Version von Barrett Strong (1959) oder von The Flying Lizards (1979).