Liebe Arbeit
nach den Ferien oder schon kurz vor deren Ende, da fängt das Klagen an, ein jedes Mal wieder, vielstimmig, denn dann ist es Zeit, sich wieder um dich zu kümmern, liebe Arbeit, zu dir zurückzukehren.
Vielen scheint dies schwerzufallen. Sie tun so, als hätten sie dich ganz und gar vergessen, als kennten sie dich überhaupt nicht. Oder sie begegnen dir wie einer alten, obermühsamen Bekannten, der man weiträumig aus dem Weg gehen will, bei deren Sichtung man die Strassenseite wechselt oder schnellschnell einen Gullydeckel lupft und sich in der Kanalisation versteckt. Und ja, ich mag mich erinnern, erzählte es erst kürzlich meinem Kind, wie auch ich dich hasste, als ich noch klein war.
Für mich als Bauernbub nämlich bestand der Sommer nicht aus Dolcefarniente, sondern dem Pflücken, Auflesen und Sortieren von Obst, insbesondere der schrecklichen Kirschen. Noch heute überkommt mich ein Schauer der Abscheu, sehe ich in der Vitrine eines Konditors einen Kirschkuchen. Während die anderen Buben im Freibad ihre vagen Annäherungen an das andere Geschlecht in die Wege leiteten, füllte ich den aus gesottenen Weiden geflochtenen Kratten, der schwer an einem Lederriemen an meiner Hüfte hing und mich gen Erdmittelpunkt zog – schrecklich, so jung schon über die Unerbittlichkeit der Gravitationskraft in Kenntnis gesetzt zu werden. Auf der Leiter im Geäst des Baumes betete ich jeweils um Starkregen, dass er die Arbeit unterbrechen möge und ich Zuflucht suchen dürfe im Kofferraum unseres senfgelben Toyotas, wo die Tropfen auf das dünne Blech trommelten und ich in Comics versank.
Auch andere Kinderarbeit empfand ich als unschön, selbst wenn sie bezahlt war, wie etwa das Mausen, also das Stellen von Mausefallen auf den Feldern, das Einbringen dieser makabren Ernte, das Abschneiden der Schwänze, das Verwahren dieser in einer flugrostfleckigen «Grether’s Pastilles»-Blechdose. Pro Schwanz erhielt man auf der Gemeindeverwaltung fünfzig Rappen in bar – den Kampf gegen die Nager nahm man ernst.
Nun ist alles anders, liebe Arbeit, du bist mir eine gute Freundin geworden, das möchte ich dir versichern. Von dir spreche ich nur in höchsten Tönen, und wenn jemand kommt und übel über dich berichtet, dann trete ich für dich ein. Und ich liebe dich nicht des Geldes wegen, nein!
Weshalb dem so ist? Warum ich dich nun so gerne mag? Ich weiss es nicht. Als Kind verabscheute ich Spinat, heute schmeckt er mir vorzüglich. Weshalb, weiss ich nicht. Und es spielt auch keine Rolle. Die Dinge ändern sich eben. Manche sagen, der Wandel der Haltung zur Arbeit habe damit zu tun, dass man nun Kinder habe und dadurch die Freizeit in etwas bis anhin Unbekanntes transformiert werde, das die Arbeit wiederum in einem anderen Licht erscheinen lasse, golden glänzend. Ich kann das nicht bestätigen, möchte es jedoch auch nicht verneinen.
Was ich noch erwähnen möchte, liebe Arbeit: Es gilt, was bei allen guten Freundinnen und Freunden gilt. Man darf es mit ihnen nicht übertreiben. Sonst könnte es sein, dass man sich gegenseitig verleidet, sich langweilt, die Liebe abkühlt und sich alsbald ins Gegenteil verkehrt. Ein Stündchen pro Tag mit dir, das scheint mir recht, liebe Arbeit. Vielleicht deren zwei. Mehr anzustreben, wäre kontraproduktiv. Wenn wir weiterhin so verfahren, dann wird unsere Liebe noch lange währen.
Dein Max
PS: Song zur Kolumne: «Fröhlicher Landmann, von der Arbeit zurückkehrend. Frisch und munter», von Robert Schumann, aus dem Zyklus «Album für die Jugend», 1848. Ein Klavierstück, welches wohl auch Inspiration war für den Arbeitersong schlechthin: «Heigh-Ho» aus dem Disneyfilm «Schneewittchen und die sieben Zwerge», 1937.
PPS: Nachtarbeit! Max Küng liest im Kaufleuten Zürich, am 2. Oktober, 20 Uhr, und stellt seinen Kolumnensammelband «Die Rettung der Dinge» vor, erschienen bei Kein & Aber. Weitere Termine unter www.maxkueng.ch