• März 2017

Lieber Herr Baumann

vielen lieben Dank für Ihren elektronischen Brief, in dem Sie mich auf einen groben Fehler hinweisen. Vor einer Weile schrieb ich an dieser Stelle über einen Radiosender namens DRS3. Sie machen mich nun darauf aufmerksam, dass seit dem 16. Dezember 2012 DRS3 nicht mehr DRS3 heisst, sondern Radio SRF 3. Nun ist es so, dass mir dies durchaus bewusst ist, und auch meine Kollegin in der Abschlussredaktion wollte dies gern ändern, jedoch: Ich schrieb es absichtlich falsch, beharrte auf dem Fehler, weil meiner Meinung nach das Falsche in diesem Fall das Richtige ist. Wer auf die Idee kam, aus DRS SRF zu machen, gehört mit Ignoranz bestraft. DRS3 wird für mich immer DRS3 sein. Aber natürlich haben Sie recht: Faktisch falsch war es. Und ich weiss, dass ich Fehler mache, immer wieder. Ja, darin kenne ich mich aus. Im Fehlermachen bin ich echt gut. Etwa als ich in einem Artikel über die Extremadura schrieb: «Kaum eine Landschaft in Europa ist so dünn besiedelt wie der Osten Spaniens.» Natürlich liegt die Extremadura im Westen. Westen. Osten. Links. Rechts. Oben. Unten. Manchmal sind die einfachsten Dinge die verwirrendsten. In einem Zeitschriftenartikel ist ein Fehler schlimm, aber nicht so schlimm wie in einem Buch. Wer je ein Buch geschrieben hat, die oder der weiss um den Schmerz über frisch ertappte Fehler.

Eine Bekannte, im Schwimmbad per Zufall getroffen, sie sagte kürzlich: «Ich hab dein Buch gelesen.» Das ist einer der schlimmsten Sätze, vor allem, wenn eine Pause folgt und ein ratloser Blick oder ein Gesichtsausdruck mit mildem Lächeln, welches üblicherweise zur Anwendung kommt nach Sätzen wie etwa: «Ich hab dich vom Ausgang nach Hause kommen sehen, ich war grad auf dem Weg zur Arbeit»; oder nach: «Ich hab gesehen, wie du versucht hast, mit dem Auto seitlich einzuparken, letzten Samstag.»
Natürlich fürchtet man ein Verdikt. «Unterhaltsam, aber...» «Süffig, aber...» Solche Sätze. Schlimmer jedoch ist es, wenn Leserinnen und Leser Fehler finden. So wie diese Bekannte. Sie sagte also eine Weile gar nichts, und ich dachte schon: «Uff! Kein Fehler gefunden», aber dann holte sie Luft, hielt nochmals kurz inne und meinte: «Aber weshalb Möhre?» – «Möhre?» – «Ja, du hast Möhre geschrieben. Niemand sagt doch Möhre. Karotte sagt man.» – «Was? Ich habe Möhre geschrieben?» – «Ja. Möhre. Ganz am Ende, als der Schneemann gebaut wird. Da steht Möhre.» Und dann denkt man den ganzen Tag bloss noch «... Möhre, Möhre, Möhre, Möhre, Möhre...» Bis man einen Bekannten trifft, der sagt: «Hey, ich hab dein Buch gelesen.» Schweigen. Dünnes Lächeln. Leicht gesenkter Blick. Dann: «Auf Seite 340 steht Kalbsbrie.» – «Ja?» – «Ja, Kalbsbrie.» – «Aha.» – «Kalbsbrie, statt Kalbsbries.»
Für immer werden diese Fehler in den Büchern stehen. Jedermann kann ins Bücherbrocki gehen und ein Exemplar aus dem Regal ziehen, den Staub vom Deckel blasen und nachschlagen auf Seite 340, «Kalbsbrie» wird er lesen. Auch in der Erstausgabe meines ersten Romans «Wir kennen uns doch kaum» fanden sich Fehler, etwa auf Seite 177 der Nachtisch, auf dem eine Zeitschrift liegt – und der natürlich kein Dessert sein sollte, sondern eine Ablage neben einem Bett. An diesen Fehler denke ich jedoch gern zurück, weil: Es gibt schöne und weniger schöne Fehler. Nachtisch statt Nachttisch gehört zu den schöneren. Und ich habe nicht geschrieben Nachtischschlampe. DAS wäre ein Fehler gewesen, und zwar ein richtiger.


Mit voll korrekten Grüssen, Max Küng


PS: Song zum Thema: «Demut» von Vermont vom Album «II», 2017, respektive «Istanbul» von They Might Be Giants vom Album «The Flood», 1990, respektive «Mörchen» von Helge Schneider vom Album «Out of Kaktus!», 2003.