• Juni 2017

Lieber Herr Allemann

Sie sind Gemeinderat im solothurnischen Herbetswil, als solcher zuständig für das Ressort Finanzen und Planung, ausserdem sind Sie Präsident des örtlichen Naturund Vogelschutzvereins – und in Ihrem topmodernen VW-Bus T5 Caravelle mit geilen schwarzen Felgen gehörten Sie zu jenen, die auf der deutschen Autobahn Richtung Schweiz unterwegs waren und vor dem Zollübergang Rheinfelden darauf warteten, in die Schweiz eingelassen zu werden. Anscheinend waren Sie etwas ungeduldig auf Ihrer Reise in die Heimat, drängelten sich beim Spurwechsel im Stau vor einen anderen Wagen und beschädigten dabei dessen Aussenspiegel. Am Steuer jenes Wagens sass Herr R., ein deutscher Zollbeamter, privat unterwegs. Er stieg aus, um den Schaden zu begutachten und mit Ihnen gütlich zu regeln. Was dann geschah, davon gibt es zwei Varianten. Die von Herrn R. geht so, dass Sie ihm gesagt hätten, er könne Sie am Arsch lecken. Der Streit ging weiter. Herr R. behauptet, sie hätten ihm einfach eine reingehauen. Genauer: «Allemann schlug mit der Faust auf mein Auge, meine Lippe. Und er trat aus dem Auto heraus mit den Füssen gegen mich.»

Tja, wer würde nicht gern dann und wann dem einen oder der einen eine reinhauen? Auge um Auge? Lippe um Lippe? Fuss um Fuss? Gründe gibt es ja genug. Wissen Sie, ich sass gestern spät im Zug von Basel nach Zürich, im Theater war ich gewesen, «Drei Schwestern» von Tschechow, grossartiges Stück im Fall, zu Recht wurde es ans Theatertreffen in Berlin eingeladen. Nun, der Zug war gut ausgelastet, und ein Typ namens Angelo mit verkehrt auf dem Kopf sitzender Baseballcap sass am Gang gegenüber und ass Käsewähe. Dass er Angelo heisst, das erfuhr ich, da sein Kollege nicht müde wurde, ihn so zu nennen ( «...hey-Angelo-dies... hey-Angelo-das...»). Dieser Angelo also kaute Käsewähe, die arg nach Erbrochenem roch. Es war ein wirklich penetranter Geruch, der durch den Zug waberte. Ein feiner Faden des fahlen Fladens hing an Angelos Dreitagebart, als er anfing, von dem Terroranschlag in London zu erzählen, er sagte laut: «Sieben Tote und vierzig Verletzte, kein schlechter Score!» Er lachte und blickte sich im Waggon um, ob noch jemand seinen Scherz gut fand und mitlachen mochte, aber nur sein Kollege kicherte, sagte: «Hey, Angelo, der war gut!» Und ich dachte, ich würde gern aufstehen und Angelo eine reindrücken, ihm die Käsewähe in die Nasenlöcher stopfen und seine behämmerte Baseballcap in sieben oder vierzig Fetzen reissen. Aber ich bin kein Tony-Soprano-Typ, sondern ganz und gar gegen Gewalt, also blieb ich sitzen und atmete flach, wegen der Käsewähe, die Angelo schmatzend in sich reinschob, schloss die Augen und zählte still und langsam auf siebentausend.
Gewalt ist kein Weg, Herr Allemann. So gern man sie auch anwenden möchte. Und apropos Weg: Weshalb waren Sie in Deutschland drüben mit Ihrem geräumigen VW-Bus? Der Zeitung sagten Sie: «Ich war in Rheinfelden, um Natursteinplättli zu kaufen.» Ha! Da haben wirs! Natursteinplätti aus der Europäischen Union! Sie sind doch Mitglied der SVP! Und dann einkaufen im Deutschen drüben? Wie geht denn das zusammen? Waren Sie ob Ihres unpatriotischen Einkaufsverhaltens so böse auf sich selbst, dass der Grenzwächter dafür büssen musste? Denn: Was würde da wohl die Firma Bargetzi Naturstein GmbH in Solothurn dazu sagen, das Sie ennet der Grenze kaufen? Oder die Firma Volkan Naturstein in Wolfwil? Oder die Firma Studer Naturstein AG in Oensingen, keine Viertelstunde mit dem Auto von Herbetswil entfernt?
Gewalt ist kein Weg, Herr Allemann, um zwischenmenschliche Differenzen zu nivellieren. Natursteinplättli-Einkaufstourismus ist auch kein Weg, um sein Karmakonto zu düngen. Kommen Sie zurück auf die Bodenplatten der Realität: der Schweiz. Dann gibts auch keinen Zoff am Zoll.


Mit friedfertigen Grüssen, Max Küng


PS: Song zum Thema: «Ich mache meinen Frieden mit euch» von Tocotronic, vom Album «Wir kommen um uns zu beschweren», 1996.


PPS: Sie züchten auf Ihrem Gestüt «Najuba» Araberpferde, das sah ich auf Ihrer Homepage. Da frag ich mich: Ziehen Ihre Parteikollegen Sie nicht manchmal auf, so mit Sprüchen wie: «Warum Vollblutaraber? Gibts denn keine Schweizer Hengste?» Weil: Gibt es ja, oder?