• August 2017

Liebe Christa Rigozzi

wie Sie sicher wissen, stellt ein Problem oft ein Problem dar. Aber was ein noch grösseres Problem ist: wenn man gar kein Problem hat, jedoch die Lösung dafür. Dann hat man echt ein Problem. Doch fangen wir vorne an.

Wenn man mit dem Velo einmal um den Zürichsee fährt, frühmorgens, dann hat man ziemlich viel Zeit, um über ziemlich viel nachzudenken – und man sieht so manches. Man sieht viele hässliche Häuser, die sich auf der Schwyzer Seite des Sees an den Hang ducken, als versteckten sie sich vor was auch immer, der Vermögenssteuer vielleicht. Man sieht schöne Schnecken, die ihre schleimige Spur über den von der Nacht noch feuchten Asphalt ziehen. Man sieht Wolken am Himmel, deren Formen sich stetig wandeln. Es wird einem also kaum langweilig.
An jenem Morgen aber sah ich vor allem eins, und zwar immer wieder, nämlich Ihr Gesicht. Es gab ja einiges an Diskussionen um eine eventuelle Verstrickung Ihrerseits, als Sie Co-Moderatorin der Fernsehsendung «Arena/Reporter» wurden, denn Sie werben mit Ihrem Gesicht auch für viele Dinge der Konsumwelt, etwa für das Einkaufszentrum Pilatusmarkt in Kriens (1320 gedeckte Parkplätze), den Ferienveranstalter Reisebüro Mittelthurgau («Die Nummer 1 für Flussreisen») oder das Möbelhaus Delta («Komm mit mir zu den verrücktesten Preisen»). In diesem Fall aber lächelten Sie für die Kleinkreditbank Cembra, welche Ihre Popularität ausnutzt und grosszügig und -flächig mit Ihrem Konterfei wirbt.
Mal ergiesst sich dabei Ihr blondes Haar wie zwei Tessiner Wasserfälle über Ihre Schultern, mal tragen Sie es brav zu einem züchtigen Frühstückszopf geflochten, der neckisch über Ihre Schulter baumelt, mal ist die Blondpracht züchtig hochgesteckt wie zu einem Vogelnest – immer jedoch strahlen Sie von den Plakatwänden herab wie eine Kleinkredit-Mona-Lisa. Und die Botschaft, die Sie aussenden, sie kommt an. Als ich nämlich nach hundert Kilometern wieder daheim ankam, da war mir, als hätte ich Ihr Gesicht tausendmal gesehen, und in meinem Kopf klang nach, was ich ebenso oft gelesen hatte. Als ich vom Velo stieg: «Dein Kredit: Einfach Cembra.» Als ich unter die Dusche kletterte: «Dein Kredit: Einfach Cembra.» Als ich mich trocken rieb: «Dein Kredit: Einfach Cembra.» Ich konnte an nichts anderes mehr denken, sah nur noch Ihr Lächeln und die frohe Botschaft – und in mir wuchs der innige Wunsch, einen Kleinkredit aufzunehmen.
Die Frage war bloss: wofür? Denn das Problem ist: Im Moment brauche ich nichts. Rein gar nichts. Auto? Hab ich. Stereoanlage? Hab ich. Sofa? Hab ich. Ja, ich besitze tatsächlich alles – ausser einem Kleinkredit. Ich muss sagen, das stürzte mich in eine kleinere Sinnkrise.
Vielleicht haben Sie es auch gelesen: Im Schweizer Zahlenlotto hat im letzten Dezember ein Mann aus Bern 23 Millionen Franken gewonnen. 23 Millionen sind eine schöne Stange Geld, und schnell stellt sich die Frage: Was damit tun? Nun, scheints hat sich der plötzlichreiche Berner als Erstes einen lang gehegten Wunsch erfüllt, er hat sich eine Uhr gekauft. Und zwar eine offizielle SBB-Uhr der Marke Mondaine. Etwa 200 Franken soll das Modell gekostet haben.
Nun könnte ich einen Kleinkredit von 2000 Franken aufnehmen und mir zehn solcher Uhren kaufen. Fünf für den linken Arm, fünf für den rechten. Dann hätte ich immer aus jedem Blickwinkel präzise die Zeit. Aber ein Kleinkredit für 2000 Franken erscheint mir etwas gering – und mehr als zehn Uhren an den Armen erscheint mir etwas übertrieben.
So verbringe ich nun die Tage: mit dem Nachdenken darüber, wofür ich den Kleinkredit gebrauchen könnte, den ich haben will, Ihretwegen.
Ich denke, ich muss einfach noch einmal um den See fahren, dann wird mir schon etwas einfallen. Oder ich fahre mal nach Kriens, in das Einkaufszentrum, für das Sie werben? Vielleicht werde ich dort fündig. Wie war der Name gleich noch mal?
Mit konsumfreundlichen Grüssen
Max Kleinkredit, äh: Küng
PS: Song zum Thema: «The Shadow of Your Smile», etwa in der Version von Astrud Gilberto vom Album «The Shadow of Your Smile», 1965.